Heute war ich in der Therme im Saunabereich. Der Saunabereich ist meistens textilfrei, das heißt man darf keine Badeanzüge tragen und sich nur mit einem Handtuch oder einem Bademantel bekleiden. In der Sauna selbst setzen sich die meisten einfach komplett nackt auf ihren Handtüchern und schwitzen vor sich hin. Und man* sitzt da nicht allein. Heute zum Beispiel war ein Feiertag, also die ganze Therme war rappelvoll. Vor allem der Saunabereich. An einem Feiertag will man* ja schließlich seine freie Zeit nutzen, um zu entspannen. Mit ganz vielen nackten Menschen auf engstem Raum anscheinend.
Nackt sein ist für mich ein Problem. Zumindest in der Öffentlichkeit. Die muss auch nicht groß sein, es reicht auch nur eine Person. Ich fühle mich nackt wohl, wenn ich alleine bin, aber nicht, wenn mich jemand anderes nackt sieht. Weil mein Körper anders ist. Weil er nicht so aussieht, wie ein Körper aussehen sollte, bzw. wie mir eingetrichtert wurde, dass er aussehen sollte, sprich dünn und durchtrainiert. Mein Körper ist groß und fett und seit ich denken kann weiß ich, dass das ganz schlimm ist! Vor allem für die anderen, wer auch immer die sind. Seit ich angefangen habe zuzunehmen, habe ich gelernt meinen Körper immer mehr zu hassen. In unserer Gesellschaft gibt es schließlich ein klares Schönheitsideal, das es um jeden Preis zu verfolgen gilt und wer es nicht erfüllt, ist dann halt hässlich und unzufrieden und ungesund und wird nie jemanden zum lieben finden. Spoiler Alarm: Das ist 1. nicht wahr, 2. unglaublich toxisches Denken und 3. kompletter Schwachsinn. Ok, zurück zum Thema. Was war das noch mal? Ah ja, Nacktsein. Also weil ich auch ein Opfer unserer Gesellschaft und der ganzen Fatphobia (dt. Dickenfeindlichkeit)* bin, bin ich selbstverständlich eine Meisterin darin mir viel zu viele (überwiegend unnötige und anstrengende) Gedanken um meinen Körper zu machen, vor allem darum wie er von andern wahrgenommen wird. Und genau das habe ich heute auch in der Sauna gemacht. Anstatt mich nur aufs Schwitzen zu konzentrieren war ich von Anfang an darauf bedacht, dass mich die Leute nackt sehen und was sie wohl dann denken könnten.
Ich fühle mich nackt wohl, wenn ich alleine bin, aber nicht, wenn mich jemand anderes nackt sieht.
Ich saß also auch in der Sauna in mein Handtuch eingewickelt und obwohl das ein (leider) normales Verhaltensmuster für mich ist, war heute doch alles anders. Ich hatte richtig Lust auf Sauna. Ich wollte mir was Gutes tun, vor allem meinem Immunsystem. Ich wollte einfach entspannen und in Ruhe schwitzen. Und als ich dasaß und mir die Leute um mich herum ansah, fiel mir etwas auf: Keine der Personen, die ich bis dahin in dieser Sauna gesehen hatte, sah so aus wie das vorgeschriebene gesellschaftliche Ideal. Keine einzige! Mir fiel zudem auf, dass ich über keinen einzigen dieser Körper urteilte, selbst wenn ich sie anschaute, denn ich war zu sehr damit beschäftigt, über mich selbst zu urteilen und meinen Körper mit ihren zu vergleichen. Warum sollte es den anderen Menschen anders gehen? Wahrscheinlich waren sie alle selbst genauso mit sich beschäftigt wie ich. Und auch wenn nicht? Selbst wenn sie über mich urteilen sollten, sollen die halt machen. Kann mir ja egal sein, solange sie ihre Kommentare für sich behalten. Es war wie ein Schlag ins Gesicht für mich. Mir wurde auf einmal bewusst, dass mich weder die anderen Saunagänger*innen, noch die gesellschaftlichen Normen davon abhielten mein Handtuch abzulegen und mich entspannt auszustrecken. Die einzige die mich davon abhielt, war ich. Warum sollte ausgerechnet ich mich jetzt zurücknehmen und anders verhalten? Warum sollte ich nicht auch wie alle anderen komplett nackt sein? Weil ich mehr wiege als die?? Scheiß drauf! Mein Körper gehört mir und ist somit nur meine Angelegenheit. Was die anderen davon halten ist nicht mein Problem und ich sollte mein Leben nicht nach den Meinungen anderer leben. Ich stand auf und ging raus, weil mir schwindelig wurde. Diesmal ging ich nicht zum Eiswürfelbecken, wo ich sonst, immer noch in das Handtuch eingewickelt, Eis über meine heiße Haut schmelzen ließ und darauf wartete, dass niemand mehr in den Duschen war, sondern ich ging direkt zu den Duschen, die nicht leer waren. Ich hängte mein Handtuch auf und duschte mich mit kaltem Wasser ab. Einfach so. Nackt und vor den Augen anderer Menschen. Die schauten nicht mal hin. Ich nahm mein Handtuch wieder und ging raus an die frische Luft.
Mein Körper gehört mir und ist somit nur meine Angelegenheit. Was die anderen davon halten ist nicht mein Problem.
Nachdem ich mich wieder abgekühlt hatte, ging ich in die nächste Sauna. Doch ab da saß ich nicht mehr in mein Handtuch eingewickelt. Für den Rest des Tages machte ich es mir zum Ziel, mich in jede Sauna nackt reinzusetzen oder hinzulegen. Und es funktionierte. Und es war völlig ok! Niemand sagte etwas, niemand starrte mich an. Zugegebenermaßen war ich nicht immer 100% entspannt und ich machte mir immer noch Sorgen, dass mein Körper eine Zumutung für die anderen sein könnte, aber schüttelte diese Gedanken jedes Mal ab und machte mir bewusst wie bescheuert sie sind. Es ging dann sogar so weit, dass ich in den textilfreien Badebereich ging. Mit jeder Minute, die ich nackt verbrachte und mit jedem weiteren vorurteilslosen Blick, der mir begegnete, wurde ich immer entspannter, bis ich mich sogar abends einfach auf der Wasseroberfläche treiben ließ. Ich trieb immer weiter am Rand des kleinen Beckens und irgendwann hörte die kleine Überdachung darüber auf und ich konnte auf einmal ca. 5 m in die Höhe schauen wo ich mich an der verglasten Oberfläche des Daches spiegelte. Ich sah mich, wie ich mit leicht gespreizten Beinen, angewinkelten Armen und flatternden Haaren nackt im azurblauen, beleuchteten Becken auf der Wasseroberfläche trieb und der erste Satz, der mir durch den Kopf ging war: „Ich sehe schön aus!“ Ich war total überwältigt. Ich habe meinen Körper noch nie so ruhig und entspannt und glücklich betrachtet. Er erinnerte mich an ein Renaissance Gemälde. Ich sah aus wie Sandro Botticellis „Die Geburt der Venus“. Ich betrachtete, wie mein Körper proportioniert ist, wie er aussieht, wenn er sich bewegt, wie meine Haare im Wasser trieben, wie meine Brüste aussahen. Und irgendwann hörte ich wieder die Stimme in meinem Kopf. Die Stimme, die mich aus meiner Bewunderung rausholte und mir sagte „Also, das sieht jetzt nur so gut aus weil du deine Brille nicht anhast und das so weit weg ist und außerdem lässt das Wasser deine Haut so glatt aussehen und lässt deine Brüste so nach oben gehen, weil sonst würden die ja so seitlich runterhängen und, und, und…“ NEIN! Ich schüttelte den Gedanken ab und sagte zu mir selbst „Jetzt halt doch einfach mal die Fresse! Du fühlst dich schön, weil du es auch bist und du fühlst dich gerade gut und siehst aus wie ein fucking floating Angel, also entspann dich und genieß es!“ Und das tat ich auch.
*Fatphobia ist die Angst vor und/oder der Hass auf fette Körper und setzt negative Stereotype fort, die die Diskriminierung von dicken Menschen ausweitet und somit zu ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung beiträgt.
Ein Artikel von Theodora Brad
Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Theodora Brad
Foto von Aminata Cisse
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Liebe Theo,
es hat mich sehr berührt, was du geschrieben hast.
Schön, dich hier zufällig zu finden 🙂
Liebe Grüße aus Kopenhagen
Milena
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Finde ich super!!!
Wir sind auch oft in Saunen unterwegs, und da schaut auch keiner, nur weil die meisten dort nicht den Schönheitsidealen entsprechen.
Wir machen regelmäßig, wo immer es geht FKK, und die Erfahrung hat uns gezeigt das auch dort nicht gestarrt, geglotzt oder z.B. nach Frauen hinterhergepiffen wird. An normalen Textilstränden ist es oft genau das Gegenteil! Unser letzter FKK-Urlaub auf Rhodos war auch total enspannt. Und das Körpergefühl ohne lässtige nasse Badeklamotten ist auch viel schöner.
VLG aus Hannover
Jürgen
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