Vor einigen Monaten diskutierte ich mehr oder minder hitzig mit einer Freundin über Feminismus. Damals wie heute bewundere ich Menschen, die dieses geheimnisvolle Leuchten in den Augen bekommen, wenn sie über ein Thema sprechen, dass ihnen am Herzen liegt. Sie hatte genau das und ich wollte verstehen wieso, unter anderem, weil ich nicht sonderlich begeistert vom Feminismus war.
Ich begann also zu recherchieren und fand eine Unmenge an feministischen Texten (u.a. Alice Schwarzer, Margarete Stokowski, Marilyn Monroe, Djuna Barns, etc.), anti-feministischen Texten (Ronja von Rönne, Kollegah, uvm.) mit liebevollen sowie hasserfüllten Inhalten für die Mitwelt. So richtig wollte sich bei mir nicht das Gefühl breit machen, dass ich das Ganze verstanden hatte, also recherchierte ich anders weiter: Ich las Texte über Gender (V.F. Birkenbiehl), Political Correctness (Im Bezug auf das Arbeitsleben: Rethinking Political Correctness von Robin J. Ely und Co.), Sexuelle Bildung (Serien wie „turned on“ oder wieder V. F. Birkenbiehl oder auch Steve Biddulph sind hier zu empfehlen), bis hin zu medizinischen Studien über die Entwicklungen von Mann und Frau.
Auch das half nicht, die Grundfrage der Heftigkeit und Aktualität von Feminismus oder Geschlechterungleichheit zu verstehen.
Ich las weiter: Urzeitgeschichte, Matriarchat, Patriarchat, Religion, bis zum Hinterfragen und Studieren der Wortherkunft von „herrlich“ und „dämlich“ (Hier fand ich den Band von Adalbert Podlech über die Worte „Sex, Erotik, Liebe“ besonders spannend, ist aber zäh). Ein nie endendes Meer an Informationen tat sich auf und ließ mich zugleich fröhlich jauchzen und ermüdet aufstöhnen.
Ich versuche zuzuhören, wo ich vorher genervt die Kopfhörer aufgesetzt habe und in meinem Kopf verschwunden bin
Mit der Zeit wurde ich jedoch ruhiger, ließ hier und dort Texte weg, vergaß viel von dem Gelesenen und begab mich mehr und mehr in die Beobachtung von realen Zusammenhängen in meinem Umfeld. Ob in der U-Bahn oder einer LGBTQ-Bar: Die Grundfrage vieler durch den Feminismus aufgezeigten Probleme liegt genau hier: Im echten Miteinander wohlwollende und nichtsdestotrotz ehrliche Worte, Gesten und Ausdrucksformen überhaupt zu finden und real werden zu lassen; und sei es bloß in schlichter Zweisamkeit, nicht zugunsten der Augen/Ohren irgendeines möglicherweise urteilenden Mitmenschen.
Die Diskussion und gedankliche Auseinandersetzung mit den Themen unserer Zeit ist wichtig, ja, essentiell für ein gemeinsames Vorankommen: Mensch zu Mensch. Noch wichtiger jedoch ist die Umsetzung, das reale „Besser“-Machen und Teil-der-Lösung-Sein in jeder einzelnen Begegnung, mit jedem uns begegnenden Menschen. Ich bin diesbezüglich bemüht, selbst wacher für die Welt zu werden: Ich versuche zuzuhören, wo ich vorher genervt die Kopfhörer aufgesetzt habe und in meinem Kopf verschwunden bin, übe mich in der kommentarlosen Beobachtung von Dingen, die mir nicht verständlich werden wollen und versuche mehr und mehr ein Meister der richtigen Fragen als einer der Antworten zu werden. Und doch weiß ich, dass ich nie ein Wegweiser werde sein können, der dort hinläuft, wo er hinzeigt. Ich bleibe mit jeder neuen Situation ein Anfänger und ein Lernender.
Immer mit dem Risiko, dass das Bild nur noch dort klar ist, wo ich fokussiere.
Nichtsdestotrotz ist der wissenschaftliche Diskurs und die Beschäftigung mit Gedanken und Worten von zeitgenössischen, aber auch verstorbenen Denkern wichtig. Dieses Sich-Mit-Einem-Thema-Auseinandersetzen kann zu neuen Wahrnehmungen führen, uns bisher unbemerkte Alltäglichkeiten eröffnen und dann zu neuen Handlungen führen. Immer mit dem Risiko, dass das Bild nur noch dort klar ist, wo ich fokussiere.
Ich hoffe ihr findet Momente in eurem Alltag, die ihr neu gestalten könnt; ihr durch euer Handeln neu und dem Jetzt-Passierenden getreu bleibend schöner, klarer, wahrer mitmenschlich werden könnt.
Jeder Mensch der eine Not zum Ausdruck bringt, sollte in dieser Not ernst genommen werden. Mir ist jedoch wichtig, dass ich zumindest für mich selbst immer wieder Fragen stellen darf an diese Not, an dieses Erlebnis von Ungerechtigkeit und vor Allem an mein Gegenüber, welches all das zu vermitteln versucht. Es geht mir hier um die Suche nach Gespräch zwischen Menschen, sei es nun mit Gleichgesinnten, Provokanten oder einem namenlosen Mitmenschen; w e i t e r suchen!
Ein Text von Christoph Sitaras
Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Stephan Sitaras
Ein interessantes Phänomen, gerade auch bei SuS ( = Schüler und Schülerinnen = Politischkorrekt für: Schüler [Postmoderndeutsch]).
Aktuell in der Schule (muss ich jetzt korrekterweise auch: „im Schul“ dazufügen, damit die männliche Form und die mit Migrationshintergrund auch eingeschlossen sind?) betitteln sich die Kinder und Jugendlichen immer wieder beispielsweise mit „schwul“.
Ein politisch korrektes Wort das in deren Gebrauch aber als Provokation oder Beleidigung eingesetzt wird. Mit Wirkung. Die Reaktionen können bis hin zu Schlägereien sein.
Um dem Unschuldslamm spielenden agent provocateur zu verdeutlichen, warum dies fies sei, ist mein Lieblingsbeispiel „Filzstift“.
Stell dir vor, jemand nennt dich konsequent nur noch Filzstift.
Anfänglich evtl. noch witzig.
Du wehrst dich, wenn’s anfängt zu nerven.
Er nennt dich weiter Filzstift. Auch wenn’s dir richtig auf den Sack geht.
Du sagst, wie du heisst, du möchtest bitte beim Namen genannt werden.
Er nennt dich weiter Filzstift.
Es fängt an, dich richtig innerlich zu verletzen.
Der Punkt ist erreicht, an dem es nun egal ist ob er
Nigger,Schwuchteloder Filzstift sagt.Es tut weh.
Und das GEHT NICHT!
Die genaue Umkehrung im freundschaftlichen, einvernehmlichen Umfeld kann auch gepflegt werden.
Eher unter Jugendlichen in der zweiten Hälfte der Jugend (ca 15 bis exitus).
Wir verstehen uns so gut, dass wir nie miteinander (nur aus Prinzip) politisch korrekt sein müssen.
Im Gegenteil: wir haben richtig Spass am political incorrectness!
Weil wir darüber stehen.
Mit freundlichen Genehmigung von
Christoph Dörflinger
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Lieber Christoph,
Hiermit möchten wir Dich bitten, Deinen Kommentar nochmal zu überdenken und zu überarbeiten. Wir dulden weder rassistische noch homophobe Begriffe auf unserer Website, die zu dem auch nichts mit dem Artikel zu tun haben.
Wir bitten Dich, mit Worten wie diesen sorgfältiger und bedachter umzugehen, da sie verletzend sein können und Denkweisen und Strukturen reproduzieren, die wir nicht unterstützen möchten. Außerdem wollen wir Dich darauf aufmerksam machen, dass es einen großen Unterschied macht, ob man mit „Flitzstift“ oder mit dem N-Wort oder „Schwuchtel“ beleidigt wird oder ob jemand „schwul“ als negatives, beleidigendes Wort benutzt oder versteht. Der Grund dafür ist folgender: Mit beispielsweise dem Wort „Schwuchtel“ reproduziert man das Verständnis einer vermeintlichen Minderwertigkeit einer marginalisierten Gruppe bzw. einer Minderheit. Das nennt man Diskriminierung. Hinzu kommt die Reproduktion von diesen diskriminierenden Strukturen und Denkweisen, sowohl institutionalisierten, ideologischen als auch persönlichen. Bei der Nutzung normaler Begriffe wie dem Wort „schwul“ als Beleidigung ist es ähnlich. Es kommt hinzu, dass durch die Verwendung des Wortes „schwul“ in negativen Kontexten auch die Denkweisen des*der Sprechenden als auch des*der Zuhörenden geprägt wird. Sprache prägt unser Denken, sowie das Denken unsere Sprache prägt. So werden normale Worte plötzlich zu negativen Bezeichnungen, meist durch Menschen, die sich selbst nicht mit diesem Wort beschreiben würden, wodurch dann wiederum der Gedanke, LGBTIQ+ zu sein, mit etwas negativem assoziiert wird.
Bei einem Wort wie „Flitzstift“, das sich weder auf Menschen, noch auf Minderheiten bezieht, passiert all dies nicht. Natürlich kann man
trotzdem wütend werden, wenn man gegen den eigenen Willen so genannt wird, da es durch zahlreiche Wiederholungen als Beleidigung wahrgenommen werden kann. Jedoch steht hinter diesem Wort weder eine strukturelle, noch eine andere Form der Diskriminierung.
Herzliche Grüße von der .divers-Redaktion
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