„Ich schreibe über Abtreibung“, sage ich in einer bunten Runde verschiedenster Generationen, quer über den Esstisch hinweg, denn irgendwer hat die Frage gestellt, woran ich momentan arbeite. Da ist plötzlich nur noch das Geklimper des Bestecks zu hören, die meisten haben die Köpfe gesenkt, der Moment zieht sich in die Länge und erst jetzt merke ich wieder, dass ich ein Tabu-Thema angesprochen habe. Während mir persönlich das Wort Abtreibung ganz leicht über die Lippen kommt, scheint das anderen wahnsinnig unangenehm zu sein. Mehr als ein „Ah ja“, bekomme ich nicht als Antwort und dann wird das Thema gewechselt.
Dabei ist das Abbrechen einer ungewollten Schwangerschaft im letzten Jahr wieder stark in den gesellschaftlichen Vordergrund getreten, durch die Debatte um den Paragraphen 219a, der Frauenärzt*innen untersagt, Informationen über Abtreibung über ihre Homepages oder in Broschüren zu veröffentlichen. Die Gießener Allgemeinärztin Dr. Kristina Hänel wurde im November 2017 zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt, weil sie genau das getan hat. Die Richterin, die damals das Urteil aussprach, begründete die Entscheidung so: „Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache.“
Jetzt wird die Richterin sich in die Faust beißen vor Ärger, denn gerade dieses Urteil und Dr. Hänels Unerschütterlichkeit, brachten das Thema in Deutschland wieder stark zurück in die Öffentlichkeit. Plötzlich wird wieder über Abtreibung diskutiert und sogar die aktuelle gesetzliche Regelung hierzu infrage gestellt. Seit vorgestern ist bekannt, dass die Bundesregierung sich auf einen neuen Gesetzesentwurf zum Paragraphen 219a geeinigt hat. Zwar wird der Paragraph nicht abgeschafft, jedoch soll es zukünftig Ärtz*innen und Krankenhäusern möglich sein, darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Außerdem soll es im Netz eine Liste mit Einrichtungen geben, die Abtreibungen durchführen und Krankenkassen sollen die Kosten für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel für Frauen bis 22 Jahre übernehmen.
Häufig aber scheint es, als hätten viele den Blick für den Kernkonflikt von Abtreibung verloren.
Durch die Infragestellung von Schwangerschaftsabbrüchen wird die Frau entmündigt und verpflichtet, ihren Körper einem anderen Lebewesen zur Verfügung zu stellen.
Es handelt sich um ein Thema, das in viele verschiedene Richtungen ausschlägt und sich im Hinblick auf unterschiedlichste Fragen diskutieren lässt: Wer treibt ab, aus welchen Gründen und unter welchen Bedingungen? Inwiefern ist Abtreibungspolitik durch religiöse Einflüsse bestimmt? In welchen Ländern ist Abtreibung verboten und wieso? Die Emanzipation der Frau und die Auflösung des Bildes von Frau = Mutter, Verhütung, Verantwortung, die Rolle des Mannes hierbei – all diese Punkte sind eng miteinander verwoben. Was aber allem zugrunde liegt ist eine Frage menschlicher Grundrechte.
Das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung und Gesundheit bezüglich ihres Sexuallebens wird dem „Lebensrecht“ des Fötus gegenübergestellt, oder, im Falle der Verurteilung einer Abtreibung, sogar untergeordnet. Durch ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen wird die Frau entmündigt und verpflichtet, ihren Körper dem Fötus zur Verfügung zu stellen.
Die Weltbevölkerungskonferenz der Vereinten Nationen hat bereits 1974 festgehalten: „Alle Paare und Individuen haben das Grundrecht, frei und verantwortungsvoll über die Zahl und den Abstand ihrer Kinder zu entscheiden und die Informationen, Bildung und Mittel dazu zu erhalten.“ Darunter fasst sich ebenfalls „das Recht, alle Entscheidungen bezüglich der Reproduktion ohne Diskriminierung, Zwang und Gewalt zu treffen“, das 1994 auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo ergänzt wurde.
Das Recht auf den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft könnte hier herausgelesen werden, ist allerdings nicht ausdrücklich formuliert. In einigen Teilen der Welt liegt die Zahl der illegal durchgeführten und somit meist unsicheren bis lebensgefährlichen Abtreibungen noch immer bei 100 Prozent. Eine Änderung der jeweiligen Ländergesetze, die Abtreibungen legal machen würde, scheint jedoch unter verschiedenen politischen und religiösen Einflüssen kaum möglich.
Die selbsternannten „Lebensschützer“ haben den Begriff „Post-Abortion-Syndrom“ geprägt, der medizinisch allerdings nicht anerkannt werden kann.
In Deutschland wurde 1994 die Fristenregelung eingeführt. Innerhalb der ersten 12 Wochen bleibt ein Schwangerschaftsabbruch straffrei, unter der Voraussetzung, dass sich die Frau einem Beratungsgespräch unterzieht und eine darauffolgende Wartefrist von drei Tagen einhält. Nach Ablauf dieser zwölf Wochen sind Abbrüche nur noch unter bestimmten medizinischen Gesichtspunkten gestattet, sollte also die Schwangerschaft eine ernsthafte gesundheitliche Gefährdung für die Frau oder das Ungeborene darstellen.
Trotz dieser vermeintlich liberalen Regelung, in der jedoch noch immer festgehalten wird, dass Abtreibung eine Straftat ist, die nur unter bestimmten Umständen straffrei bleibt, fehlt ein freier Austausch zu dem Thema. Das könnte unter anderem daran liegen, dass sich Argumentationen von „Lebensschutz“-Organisationen (Gruppen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben beispielsweise ein absolutes Verbot von Abtreibung einzuführen) oft ihren Weg ins kollektive Bewusstsein bahnen und nicht überdacht werden. Eines dieser Argumente ist beispielsweise die wohl untragbare psychische Belastung, die eine Frau, die abgetrieben hat, danach ihr Leben lang begleiten wird. Die selbsternannten „Lebensschützer“ haben für dieses Phänomen den Begriff „Post-Abortion-Syndrom“, also Post-Abtreibungs-Syndrom, geprägt, der medizinisch allerdings nicht anerkannt wird. Frauen, die ihre Entscheidung zu einer Abtreibung nicht infrage stellen, werden innerhalb dieser Argumentation einfach ausgeklammert.
Gleichzeitig wird dieser Einwand aufrechterhalten durch das bestehende Bild einer schwachen, sensiblen Frau, die es nicht schafft eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen. Dass nachträgliche Zweifel durchaus aufkommen können, soll nicht bestritten werden, doch ist das keine Folge, die in jedem Fall eintreten wird.
Eine Entscheidung wie diese kann immer nur für sich selbst und nicht für andere getroffen werden.
Für kaum eine Frau wird eine Abtreibung eine ganz normale Sache sein. Trotzdem sollte jeder Frau, die eine solche Entscheidung getroffen hat, jede Art von Umgang damit gewährleistet sein. Das bedeutet auch, darüber reden zu können, ohne Angst zu haben, dafür verurteilt zu werden. Es ist völlig legitim, dass eine Frau sich dazu entscheidet, niemals eine Schwangerschaft abzubrechen und sie sollte sich auch dazu äußern können. Eine Entscheidung wie diese kann aber immer nur für sich selbst und nicht für andere getroffen werden. Entweder möchte eine Frau ihren Körper einem anderen (potentiellen) Leben zur Verfügung stellen oder sie möchte es nicht. Jede Entscheidung dazu sollte akzeptiert werden und zu dieser Akzeptanz gehört auch, einen offenen Diskurs darüber zu führen und dem Thema sein Tabu zu nehmen. Gerade weil es sich hier nicht um eine “normale Sache” handelt, sollte in der Öffentlichkeit über Abtreibung gesprochen werden.
Ein Artikel von Clara Leinemann.
Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Helena Köster.
Weiterführende Literaturtipps der Autorin zum Thema
- Sanders, Eike/Jentsch, Ulli/Hansen, Felix: „Deutschland treibt sich ab“. Organisierter „Lebensschutz“, Christlicher Fundamentalismus, Antifeminismus, Unrast-Verlag, Münster 2014
- Busch, Ulrike/Hahn, Daphne (Hsrg.): Abtreibung. Diskurse und Tendenzen, transcript Verlag, Bielefeld, 2015

Clara Leinemann studiert am Literaturinstitut Hildesheim. Sie schreibt Prosa und Drama (jetzt auch für Kinder!). Ihr Theaterstück Die Selbstgerechten wurde am Schauspiel Hannover sowie am Schauspiel Leizig im Rahmen des 4+1 Festivals für junge DramatikerInnen szenisch gelesen. Zuletzt wurde sie in der Poetin im Frühjahr 2019 veröffentlicht. Ihre neues Hobby ist literarische Street-Art.
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