Ich bin cis-männlich, hetero, single und schlecht im flirten. Ehrlich gesagt ist mir flirten unangenehm. Es ist immer irgendwie verkrampft. Aber was ist Flirten eigentlich und wie schaffe ich es, dass es allen Beteiligten Spaß macht?
Die typische Situation ist abends auf einer Party. Wir stehen uns gegenüber, kennen uns noch nicht und reden miteinander. Nach außen hin versuche ich total locker zu wirken, aber in meinem Kopf kreisen meine Gedanken wie ein Strudel der Unsicherheit.
Ich bin unsicher, in welches ihrer zwei Augen ich gucken soll, ob der Witz von mir gerade bescheuert war und frage mich die ganze Zeit, wann und wie es in Ordnung ist, Körperkontakt aufzubauen. Meine Unsicherheit lähmt mich und macht jede ungezwungene Interaktion unmöglich. Irgendwann halte ich meine Verkrampfung nicht mehr aus und flüchte aus der Situation.
Mittlerweile bin ich an dem Punkt, dass mir diese Situationen so unangenehm sind, dass ich sie komplett vermeide. Aber Flirten zu vermeiden kann ja auch nicht die Lösung sein. Dadurch verpasse ich nämlich auch viele schöne Begegnungen.
Ein Flirt ist ein Prozess des Kennenlernens
Es stellt sich also die Frage, warum ich beim Flirten so verkrampft und verunsichert bin? Ich denke, dass bei mir persönlich mehrere Dinge zusammen kommen, die aufeinander treffen. Auf der einen Seite stehen mehrere Ängste. Die Angst vor Zurückweisung. Eine Angst vor Nähe und vor unangenehmen Situationen. Und ich bin mir auch unsicher, wann ich übergriffig handeln könnte und möchte das unbedingt vermeiden. Auf der anderen Seite wünsche ich mir Selbstbestätigung und begehrt und gemocht zu werden. Nicht zu vergessen ist, dass ich auch ein Bedürfnis nach Nähe und Sex habe. Durch dieses Aufeinandertreffen von Ängsten und Bedürfnissen entsteht meine Unsicherheit.
Um mich dem nicht auszusetzen, gehe ich dann lieber alleine nach Hause in mein eigenes Bett und bleibe in meiner Comfort-Zone. Dort drehe ich mich dann von einer Seite auf die andere, bin frustriert, dass es wieder nicht geklappt hat und frage mich die ganze Zeit, ob da nicht doch etwas hätte passieren können, ob sie nicht vielleicht doch Interesse gehabt hätte, ob ich mein Interesse nur noch direkter hätte zeigen sollen. Welche Zeichen soll ich aussenden, um zu signalisieren, dass ich Interesse habe? Wie kann ich mit Sicherheit wissen, ob die andere Person Interesse an mir hat? Ich weiß es nicht und ich kann es auch nicht wissen. Außerdem sind die Fragen falsch. Ein Flirt ist ein Prozess des Kennenlernens. Das heißt, dass die Flirt-Partnerin gar nicht wissen muss, was sie in diesem Moment will oder wie weit sie gehen möchte. Sie kennt mich ja häufig noch gar nicht. Genauso wenig muss ich selbst wissen, was ich will oder wie weit ich gehen möchte. Am besten ist es aber eigentlich, wenn ich mir in dem Moment des Flirtens gar keine Gedanken darüber mache, was ich am Ende davon will. Am besten ist es, wenn ich den Flirt einfach genieße.
Ein Flirt ist sich selbst genug
In einem Artikel eines weiblichen selbsternannten Flirt-Coachs habe ich darüber gelesen, dass Flirten nicht Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck sein sollte. Flirten sollte absichtslos sein. Beim Flirten sollte es nicht darum gehen das Ziel ‚Sex zu haben‘ anzustreben. Natürlich kann sich aus einem Flirt Sex entwickeln. Es muss sich aber Nichts daraus entwickeln. Ein Flirt ist kein Hindernisparkour, hinter dessen Ziellinie der Geschlechtsakt wartet. Bei einem Flirt geht es nicht darum ‚jemanden rumzukriegen‘, im Gegenteil ist diese Sichtweise einfach nur ätzend und nicht akzeptabel. Denn diese Sichtweise führt dazu, dass (vorwiegend) Männer versuchen (vorwiegend) Frauen zu etwas zu bringen, was diese nicht wollen. Das ist sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung.
Ein Flirt ist etwas ganz anderes. Ein Flirt ist sich selbst genug. Wenn vordergründig ein Ziel verfolgt wird, macht es den Flirt kaputt. Ein Flirt macht Spaß und gibt allen beteiligten Personen ein gutes Gefühl. Dabei ist eine Regel unglaublich wichtig: Jede Person muss zu jeder Zeit die Möglichkeit haben, sich der Situation zu entziehen. Es ist egal, ob die Beteiligten des Flirts gerade miteinander reden oder bereits nackt im Bett miteinander rumknutschen. Make sure, you have consent.Ein Flirt ist ein spielerisches Zeigen von Zuneigung und Bestätigung und manchmal mit einem gewissen erotischen Akzent. Ein Flirt ist ein Augenzwinkern. Ein Flirt ist ein Kribbeln im Bauch. Ein Flirt ist die Neugier, wohin dich die Reise führt. Ein Flirt ist ein Tanz mit Worten. Ein Flirt lässt den Impuls im Bauch zu. Ein Flirt ist gewollt. Ein Flirt bedeutet, sich auf eine Person einzulassen. Ein Flirt bedeutet, das Miteinander zu genießen. Ein Flirt ist mal neckisch und mal verrucht. Ein Flirt ist mal aufgeladen und mal ausgelassen. Ein Flirt ist mal intensiv und mal flüchtig. Ein Flirt ist so vieles, aber ein Flirt ist nicht verkrampft. Bei einem Flirt geht es darum Spaß zu haben. Also frage dich: habe ich gerade Spaß? Wenn nicht, dann lass es.
Mit Sicherheit werde ich ab jetzt nicht völlig gelöst zu jeder Zeit los flirten können. Ich werde es lernen müssen und mich überwinden. Mich das einfach mal trauen. Einfach mal ins kalte Wasser springen. Wenn ich dann das nächste mal merke, wie ich bei einem Flirt verkrampfe, werde ich mir mein neues Mantra in den Kopf rufen: Genieße den Flirt!
Hier noch zwei Links zum Thema Consent
Ein Artikel von Milan Lugerth
Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Helena Tschau.
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