Liebe*r Freund*in, möchtest du meine innere Stimme sein?

Wie wäre es wenn wir die eigene Stimme, die uns manchmal so konsequent die eigenen Fehler vorhält, uns fiese Gedanken zuflüstert und lauter als jeder Ratschlag ist, einfach mit denen guter Freund*innen ersetzen könnte?

Wir sitzen gemeinsam in der Küche, haben zusammen gegessen. Musik läuft leise im Hintergrund. Wir reden, albern herum. Ich glaub, ich hab vor fünf Minuten aufgehört dich zu lieben. Wahrscheinlich wäre die Songzeile genauso vergessen verhallt wie die restlichen Lieder zuvor, wenn Du nicht mit einem Mal das Gespräch unterbrochen hättest. Dieser Satz vereinigt all meine Ängste. Es wirkt so, als wärst Du so eben eine kleine Nebensächlichkeit losgeworden, einen lustigen Funfact über Dich, der trotzdem so deplatziert in unserem Gespräch ist, dass du gar nicht weiter darauf eingehst und ich gar nicht begreife, was du da eigentlich gerade gesagt hast. Dieser Satz vereinigt all meine Ängste. So offensichtlich für mich ist, dass Du niemals innerhalb von fünf Minuten von einem der wichtigsten Menschen in meinem Leben zu jemandem wirst, dem ich auf der Straße nicht mehr Hallo sage, so klar ist mir auch, dass das für dich nicht so offensichtlich ist.

Während mir tausend Gründe einfallen, warum diese Ängste gar keinen Sinn ergeben, fallen Dir wahrscheinlich immer weitere ein, warum sie das doch tun. Sonst wären diese Gedanken ja nicht da. Und auch wenn manchmal ein tröstendes Gespräch dagegen ankommt, genügt das eben nicht immer.

Um uns herum sind Strukturen und Systeme, die ständig vermitteln, dass jedes Individuum sich optimieren soll, immer nach dem Superlativ streben. Kein Wunder, dass so viele irgendwann an den Punkt kommen und sich sicher sind, nicht genug zu sein. Irgendwann entwirft der eigene Kopf dann vielleicht ein Bild von sich, das niemals den eigenen Ansprüchen standhalten kann, immer ungenügend und seltsam ist. Dann kann man davon sogar vollkommen überzeugt sein.

Trotzdem kann es sehr gut tun diese verqueren Gedanken und Unsicherheiten mit Freund*innen zu teilen und sich die Wertschätzung und den Zuspruch zu holen, den man sich selbst nicht geben kann. Zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung klaffen schließlich oft riesige Unterschiede.

Leider kennen viele von uns genau solche Gespräche. So schön und wertvoll es ist, dass untereinander solche quälenden Gedanken geteilt werden können, so abgefuckt und scheiße ist die Vorstellung, dass diese ständige Begleiter und Realität sind.

Die Credits für folgende Weisheit gehen an irgendeinen Anon dessen Idee mich beim stundenlangen Herumscrollen durch tumblr voll erwischt hat: Wenn du so, wie du mit dir selbst sprichst, zu deinen Freund*innen sprechen würdest, hättest du vermutlich keine Freund*innen mehr.  Well, true. Das ist natürlich kein Heilmittel gegen all die schlimmen Beleidigungen, die man sich täglich gegen den Kopf wirft. Aber wenn ich überlege, wie viele Dinge ich über mich schon gesagt und gedacht habe, dann würden die meisten davon durch Logik oder zumindest durch Höflichkeit unausgesprochen bleiben. Vor allem weil so viel, was ich an mir kritisiere und so leidenschaftlich hasse, nichts ist, was ich bei anderen auch nur ansatzweise so extrem empfinde.

Vielleicht kann es temporär helfen sich selbst aus dem Strudel negativer Gefühle und Gedanken über sich selbst zu lösen, wenn man sich vor Augen führt, dass diese destruktiven Gedanken sich zwar gerade sehr real anfühlen, aber nicht zu der Realität guter Freund*innen gehören. Und diese niemals so hart und unfair wären, wie man es oft zu sich selbst ist. Vielleicht kann der Spiegel anderer helfen, um sich bewusst zu werden, dass man liebenswert ist und dazu auch die eigenen Seltsamkeiten gehören.

Es kann aber genauso gut sein, dass dieses Traumschloss so unpassend für Dich ist, wie der Rat doch einfach mal zu Lächeln und auf die guten Dinge im Leben zu schauen, wenn Du gerade nur traurig bist und genau das einfach nicht kannst.

Es ist okay, sich hilflos und machtlos zu fühlen. Und genauso wenig, wie man sich dafür schämen sollte, sollte man sich schämen, wenn man sich Hilfe holt.

Hilfe Holen

Bei der Telefonseelsorge findest Du rund um die Uhr und kostenfrei online oder telefonisch (0800/111 0 111 oder  0800/111 0) Hilfe. Du kannst dich dort vertraulich und anonym beraten lassen, was Dir in deiner Situation helfen könnte. Oder einfach deine Sorgen loswerden.

Artikel von anonymer Autor*in
Bild mit freundlicher Genehmigung von .divers

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