Wir betrachten unsere Körper durch all die Filter, die wir uns von unserer Umgebung abschauen: Über dem Spiegelbild liegt der Schatten medialer Ideale, wir erinnern uns an abwertende Worte, in denen unsere Mitmenschen über ihre eigenen Körper sprechen und beginnen, uns mit ihnen zu vergleichen. In unseren Bewegungen und unserem Verhalten verfestigen sich Ansprüche gegenüber unseren individuellen Weiblichkeiten.
Die Suche nach der Bestätigung der Rolle unserer Körper im Patriarchat beginnt – die Suche nach unserer Attraktivität. Die Filter lassen uns unsere Körper als Objekt sehen, welches sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Gesellschaft und unserem Attraktivitätsempfinden befindet und stereotype, sexualisierte Körperideale reproduziert. Und dann folgt die Erkenntnis: Wir betrachten uns selbst durch den Male Gaze.
Dass unsere Weiblichkeiten nicht automatisch bedeuten, dass wir Menschen und ihre Körper auch mit einem weiblichen Blick betrachten, war lange ein großes Gesprächsthema für uns. Wir haben uns über unsere Unsicherheiten unseren Körpern gegenüber unterhalten und festgestellt, wie schnell wir an unsere Grenzen stoßen. Da lassen sich Ängste finden, die so tief sitzen, dass es schwierig ist, sie zu greifen.

Im Folgenden werden wir unsere Körper als sie bezeichnen, da dies für uns einen Ausdruck der Leiblichkeit und einen feministischen Akt darstellt, der eine Aneignung unserer Körper innerhalb patriarchaler Strukturen bedeutet. Es fühlt sich richtig an, ihnen damit mehr Raum und Persönlichkeit zu geben, denn so können wir sie besser verstehen und uns in ihnen zuhause fühlen.
Körperpositivität kann viel bedeuten: Sich selbst kennen- und akzeptieren zu lernen, festzustellen, dass der eigene Körper anders ist als die der anderen – oder Selbstliebe. Den Mut zu haben, sich selbst zu lieben, in einem Körper, der von außen permanent gelesen und interpretiert wird. Das öffentliche Auftreten gegen eine intime Privatheit abzuwägen, die Augen zu schließen und einfach nur zu fühlen. Körperpositivität kann bedeuten, dass du dich in dir zuhause fühlst, dass du mit dir auf Reisen gehst, um Abenteuer zu erleben, aber vor allem: dass du mit dem Menschen innerhalb deines Körpers dein Leben verbringen wirst und nur deine Entscheidungen zählen.


Wir haben uns gefragt, ob ein weiblicher Blick auf Körper überhaupt möglich ist, wenn wir durch einen männlichen Blick sozialisiert wurden. Deswegen haben wir einen Versuch unternommen, uns im Schauen, Blicken und Angesehen-Werden zu üben: Wir wollten unsere Körper kennenlernen, Menschen abbilden und ihnen den Freiraum geben, das von sich zu zeigen, was sie beschäftigt.
Wir sind uns darüber bewusst, dass wir als junge, studierende, weiße Cis-Frauen einen der größten Kritikpunkte der Body-Positivity-Bewegung erfüllen, weswegen wir uns für eine sehr subjektive und persönliche Perspektive auf dieses Thema entschieden haben.
Hannah hat sich zweimal von Inke fotografieren lassen – zu Beginn des Projekts und gerade noch einmal.
Hannah. In mir wächst der Wunsch, mögliche Alternativen des Betrachtens zu erforschen.
Aus diesem ganz behutsamen, unvoreingenommene Erkunden meiner lebendigen, irdischen Hülle heraus – nicht bewertend und nicht für andere, sondern nur für mich – kann eine Intimität zu mir selbst entstehen, wie sie nicht möglich ist, solange ich mich durch einen Blick betrachte, der nicht mein eigener ist.

Ich glaube, dass der Schritt, Merkmale meines Körpers zu zeigen, die ich so lange kritisiert habe, verstecken oder verändern wollte, mich ein gutes Stück in Richtung Akzeptanz trägt und mir hilft, ihre Präsenz, ihre Geschichte und Zukunft anzuerkennen. Ihnen auf den Fotos eigens einen Raum zu geben, in ihrer Ursprünglichkeit und Authentizität, und sie damit in einen ästhetischen, künstlerischen Kontext stellen – das bedeutet für mich, mich direkt mit meinen Unsicherheiten auseinanderzusetzen und mir selbst zu beweisen, wie mutig ich sein kann. Dass ich meinen Körper in ihrer Ganzheit wertschätze, indem ich sie genau so sichtbar sein lasse, wie sie ist.
Den Aspekt der Kunst empfinde ich dabei als eine Art Schutz, da er dem Projekt automatisch eine Art von Wert und somit inhaltlicher Freiheit beimengt. Zudem ist ein großer Vorteil von Kunst, dass sie von allen Betrachtenden unterschiedlich interpretiert und aufgenommen wird, sodass im besten Falle jede*r durch die Bilder etwas anderes fühlt und für sich persönlich etwas daraus mitnehmen kann. Und auch wenn sich vielleicht nicht jede*r in den Bildern wiedererkennen oder meine Beweggründe nachvollziehen kann, trägt das Projekt zu einer selbstbewussten und gleichzeitig behutsamen, aber vor allem weiblichen* Sicht auf menschliche Körper bei.
Inke. Es ist ein langwieriger, mühsamer Prozess, sich selbst zwischen Idealen, Körperlichkeit und Scham erkennen zu können. Ich lerne, mir selbst die Erlaubnis zu geben, Raum einzunehmen, präsent zu sein und mich gegen Strukturen aufzulehnen, mich zeigen zu dürfen, ohne es zu müssen. Diese Lektion zeigt mir allerdings auch, wie wichtig es ist, offen über Körper und ihre Unterschiede zu sprechen und in Austausch zu geraten.
Female Gaze ist eine körperpositive Fotostrecke, die auf gegenseitigem Vertrauen basiert. In diesem Verhältnis gibt es klare Regeln, die von Person zu Person unterschiedlich sind. In jedem Fall bin ich die Fotografin, die Frau mit der Kamera, die eine Person trifft, die sich auf eine Erkundungstour begeben möchte. Die fotografierte Person legt alle Rahmenbedingungen fest: Was wird wie fotografiert, wird eine Geschichte zu dem Foto erzählt, welches Bild wird veröffentlicht, wo treffen wir uns? All diese Fragen werden nicht von mir beantwortet. Sie werden häufig gestellt und wiederholen sich, werden jedoch jedes Mal selbst beantwortet. Die fotografierte Person vertraut mir sich selbst und ihre Verletzlichkeit an, zeigt mir die schönsten und schmerzhaftesten Stellen ihres Körpers und erlaubt mir, diese in gemeinsamer Arbeit zu entdecken.


Oft gehört eine große Portion Mut dazu, sich vor einer Kamera zu präsentieren. Die Menschen, mit denen ich mich treffe, sind plötzlich auf sich zurückgeworfen und wissen, dass sie von meiner Kamera so gesehen werden, wie sie gesehen werden möchten. Eine Selbstinszenierung, die an eine Öffentlichkeit getragen wird und eine bewusste Entscheidung gefordert hat.
Das Projekt hat auch Schwächen. Zum Beispiel die Tatsache, dass sich noch immer viele Menschen nicht trauen, sich für ein Fotoshootings zu melden, weil sie glauben, innerhalb des Projekts nicht repräsentativ für andere zu sein. Doch genau das ist wichtig. Bisher haben sich vorwiegend weiße, able-bodied Frauen von mir fotografieren lassen. Meine Aufgabe ist es, das Projekt kritisch zu reflektieren und mich zu fragen, wen ich damit anspreche und wen ich vielleicht unterbewusst ausschließe.
Female Gaze ist als Projekt noch nicht vollendet und wird auch nie einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können, zu einzigartig ist jede*r von uns, zu vielfältig sind all die spannenden alternativen Blickwinkel zum gewohnten Male Gaze. Aber genau das macht auch die Schönheit der unvoreingenommenen Erforschung von Körpern aus, indem sie uns mit jedem Mal das Potenzial schenkt, uns und unseren Blick auf die Welt neu zu erfinden.
Solltest du Lust haben, dich mit uns auf die Suche nach dem weiblichen Blick zu machen, melde dich gern einfach über Instagram bei @inkejohannsen.
Liebst, Hannah und Inke
Die Bildrechte liegen bei © Hannah und Inke