Die Frau unter dir

Stellungnahme der Autorin zum Begriff „Frau“
In meinen Texten geht es um Frauenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft, weshalb ich auch von Frauen reden möchte. Dieser Begriff bezeichnet auch ohne Sternchen sämtliche Menschen, die
sich als Frauen identifizieren, unabhängig ihrer Geschlechtsorgane.
Den Erfahrungen von Menschen, die sich nicht als Frauen identifizieren, aber auch aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert werden, können meine Texte nicht gerecht werden. Sie erzählen von den Erfahrungen, die im Allgemeinen alle Personen machen, die sich als Frauen identifizieren und/ oder in der Öffentlichkeit als weiblich gelesen werden; sowie den gesellschaftlichen Normen, die diesen Personen aufgrund der Geschlechtsidentität „Frau“ aufgezwungen werden.


Sie ist die Frau unter dir, du musst dich um sie nicht sorgen
Da wo sie gestern war, ist sie heute, und bleibt sie auch morgen
Sie wird sich nicht auflehnen, sie ist kein Revolutionär, denn das Gewicht ihrer
Lebenssituation bedrückt sie so sehr
dass sie keinen Ausweg sieht, keine Hoffnung kennt
Und gebückt ihren Arbeiten nachgeht, sich sagt, dass sie von gesellschaftlichen Änderungen
sowieso nichts versteht

Ja, man hat sie in dieser Hinsicht gut erzogen, sie konsequent angelogen;
Ihr erzählt, dass der Platz für Mädchen wie sie fixiert ist – ganz unten
Und dass sich von unten nichts ändern kann
Die Macht dazu ist wie warme Luft, sie steigt sofort nach oben, und lässt dich
zusammengekauert und kalt am Boden

Die Frau ganz unten wird von unserer Gesellschaft um den menschlichen Respekt betrogen
Das ist eine Währung, die man ihr niemals auszahlt, weil es sich doch nicht lohnt
Weil sie ja nichts verändern kann und zu ihrem Verdruss für immer ihre Machtlosigkeit
akzeptieren muss
Genauso wie ungebetene Finger auf ihrer Haut
Die Kommentare, wenn in der Öffentlichkeit etwas zu viel von ihrer Weiblichkeit
herausschaut
Wir sind Kapitalisten, und der Körper einer Frau ist öffentliches Eigentum, und dagegen
Kann sie niemals etwas tun
Kann sich nicht wehren, weil wir ihr die Chance verwehren, gehört zu werden
Egal ob bei der Polizei, im Gericht oder in der Politik, auf solche dummen Gören kann man
nicht hören, es ist eine Schande, dass sie es überhaupt wagen unsere Ruhe zu stören

Wieso können sie nicht einfach akzeptieren,
dass eine Frau nun Mal weniger Geld verdient
oder dass ihr Vergewaltiger für sein Vergehen drei Monate im Gefängnis sitzt,
er war ja noch jung und das ganze mehr so ein Versehen
Um seine Zukunft zu retten, kann man ruhig einmal über ihre Rechte hinwegsehen
Denn sie stören nur,
sie stehen zwar auf Papier, aber das ist geduldig
Unsere Richter weigern sich stur, diese auch anzuerkennen und machen sich in den Augen
der Öffentlichkeit damit auch nicht schuldig

In der Frau allerdings lodert ein Feuer und es droht sie zu verbrennen
Und sie nährt das Feuer, die Lust zur Zerstörung
Löst sich von all den Zwängen, die man ihr vorhielt

Wie der Zwang zur unterordnenden Weiblichkeit,
zur Stille,
oder zur Schönheit.

Ihr Körper ist bedeckt von riesigen Weiten aus Haut, von der so viel so unangenehm
menschlich ausschaut
Ihr Relief ist von Unreinheiten, blauen Flecken und Narben verbaut
Denn ihr Leben hat die Perfektion, die Reinheit dieses Organs versaut

Auch an unzähligen anderen Stellen findet man Fehler in ihre Physiognomie eingebaut
Fehler, die sie, so sagt ihr jeder, dringend beheben sollte;
Dazu muss sie eben nur etwas mehr Geld ausgeben, das ist normal, Frauen müssen nun Mal
etwas mehr dafür tun, ihr gutes Aussehen zu pflegen

Ist das nicht etwas verkehrt? Dass der menschliche Wert bei Männern im Kopf und bei
Frauen im Körper liegt; warum schätzen wir des Mannes Geiste und der Frauen Leiste?
Und warum wird Frauen verwehrt, für sich selbst Schönheit zu bestimmen, warum geben wir
ihnen vor, von Kindesalter an Lobeshymnen auf Größe 36, langes Haar und glattrasierte Haut
zu singen?

Und die Frau kann sich ja nicht wehren
Das Handeln dieser Männer wird höchstwahrscheinlich wenig Konsequenzen haben
Und die Last davon, muss wie so viele andere auch, nur sie tragen.

Die Frau ganz unten schaut auf.
Sie sieht, dass sich etwas ändern wird, ändern muss
Und sie sieht, dass nur Veränderung von unten
Sich lohnt, weil nur diese nicht die Egos der Männer ganz oben verschont.


Teil 1 einer dreiteiligen Poetry Slam-Text-Reihe von Lily Sabath
Teil 2 findest du hier.

Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Maja Wilker
Instagram: @majawilkerfotografie

2 Kommentare zu „Die Frau unter dir

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