Schamgegend

Warum wir uns nicht mehr für unseren Intimbereich genieren sollten und wie man sich richtig um ihn kümmert

Die Scham: eine quälende Empfindung. Und auch: ein veraltetes Wort für unsere Genitalien. Das ist natürlich kein Zufall. Die Gesellschaft bringt uns seit Jahrhunderten bei, uns für unseren Intimbereich zu schämen, wir sprechen und wissen zu wenig über ihn. Das ist nicht nur schade und unsinnig, sondern kann auch wirklich Unheil anrichten. Denn den eigenen Körper zu kennen und richtig zu pflegen, ist essenziell für unser Wohlbefinden.

Der Sexualkundeunterricht ließ zu meinen Schulzeiten sehr zu wünschen übrig, über Intimpflege, über Tabus und Stigmata wurde überhaupt nicht gesprochen. Von meinen Eltern dagegen wurde ich früh und gut aufgeklärt, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Trotzdem hat mich das nicht vor allen Schamgefühlen geschützt. Dabei hat mich vor allem eine Kindheitserinnerung geprägt:

Ich war höchstens 12 Jahre alt und zusammen mit anderen Kindern im Freibad, als ein Junge zu unseren Sachen ging und die Unterhose meiner Freundin aufhob. In der Unterhose befand sich ein bisschen Ausfluss, woraufhin die Jungen entsetzt schrien und sie herumzeigten. Ich war so froh, dass es nicht meine „schmutzige“ Unterhose war und schämte mich für meine Freundin mit. Damals habe ich mich das erste Mal so gefühlt, als ob die Vulva etwas Ekliges und Dreckiges sei. Es war ein langer Weg, bis ich dieses Gefühl abschütteln konnte und komplett ist mir das vielleicht immer noch nicht gelungen. Anscheinend bin ich da auch nicht die einzige:

Wenn es um die Intimpflege geht, beobachten Ärzt*innen vor allem, dass Menschen mit Vulva diese zu viel und zu oft waschen. Das tut dem Genitalbereich nicht gut, greift den Säureschutzmantel der Haut an und schädigt die Vaginalflora. Im Endeffekt begünstigt das die Ausbreitung von Bakterien und Pilzen – also genau das, wovor die sich ständig Einseifenden fürchten. Sehr oft hört man auch den Spruch, Vulven würden stinken. Nein, das tun sie nicht! Sie können nach Schweiß riechen, nach Joghurt oder auch metallisch. All diese Gerüche sind aber völlig normal. Erst, wenn du wirklich das Gefühl hast, ganz anders zu riechen als normalerweise und auch einen veränderten Ausfluss hast, solltest du ein*e Gynäkolog*in aufsuchen.

Die Industrie erfreut sich natürlich an unserer allgegenwärtigen Scham und bepackt die Regale mit den verschiedensten parfümierten Lotionen, Seifen und Cremes. Es gibt sogar Deodorants für den Intimbereich! Die meisten dieser Produkte sind allerdings wirklich eher schädlich und können Reizungen und Allergien auslösen. Am besten ist es stattdessen, sich einmal täglich mit sauberen Händen und klarem Wasser sanft zu waschen. Eine gesunde Vagina hat einen sauren pH-Wert von unter 4,5, den du mit zuviel Wasser – oder noch schlimmer mit alkalischer Seife – durcheinanderbringen kannst. Penis und Hoden können dagegen auch mit normaler Seife gewaschen werden, an die Schleimhaut an der Eichel sollte davon aber besser auch nicht zu viel.

Beim Waschen bietet sich vor allem ein geeigneter Zeitpunkt, sich kurz abzuchecken: Ist alles in Ordnung? Juckt oder brennt etwas? Frauen, bzw. Menschen mit Vulva sind verhältnismäßig öfter in ärztlicher Behandlung und machen regelmäßiger Check-Ups. Bei ihnen werden Krankheiten daher auch meist früher festgestellt. Es ist ein Mythos, dass cis-Männer vor Pilzen, Entzündungen oder Krankheiten gefeit sind. Man sollte also Penis und Hoden immer mal wieder gut untersuchen. Wenn du nicht beschnitten bist, ist es beim Waschen wichtig, dass du die Vorhaut vorsichtig zurückziehst. Wenn das schmerzhaft ist, solltest du zu*r Ärzt*in gehen. Aber keine Panik, im Normalfall kann das Problem mit einer Salbe behoben werden.

Kommen wir zum Sex: Denn der spielt bei der Intimhygiene eine zentrale Rolle. Dazu gehört zunächst, beim Sex mit neuen Partner*innen immer ein Kondom oder Lecktuch zu verwenden. Nicht nur zur Verhütung, sondern auch, um sich zu schützen. Genaueres zu Safer Sex kannst du aber schon bald *Spoiler Alert* bei .divers nachlesen! Bei Analsex sollte man darauf achten, sich vorher zu waschen oder am besten eine Analdusche zu machen. Dabei reicht aber auch wieder klares, nicht zu heißes Wasser aus. Außerdem ist es wichtig, sich nach dem Analsex zu waschen und nicht etwa den Penis danach direkt in die Vagina einzuführen – auch wenn das mittlerweile in jedem zweiten Porno gezeigt wird. Das kann nämlich sehr schnell zu einer Blasenentzündung führen. Ihr beugt man gut vor, indem man nach dem Sex pinkeln geht.

Zum Thema Sex und Intimpflege gehört zudem, dass uns Sexualpartner*innen oft irgendwelche Vorschriften zu unserem Intimbereich machen wollen. Natürlich ist es völlig okay, gegenseitig Wünsche zu äußern. Es kommt aber schnell dazu, dass diese Wünsche übergriffig sind und Mythen reproduzieren. Ein Beispiel hierfür ist die Annahme, dass Intimbehaarung unhygienisch sei. Mega Quatsch! Ob du das Bedürfnis hast, dich zu rasieren oder nicht zu rasieren, bleibt völlig deine Entscheidung. Hier gilt wieder das gleiche Prinzip wie beim Waschen: Weniger ist mehr. Enthaarungscremes können Irritationen hervorrufen, stattdessen sollte man sich vorsichtig nassrasieren. Wenn du davon Pickelchen bekommst, kannst du ein mildes, neutrales Öl benutzen. Aber bitte nur außen auftragen, als Gleitgel-Ersatz ist Öl nicht so gut geeignet. Beim Thema Rasur fällt außerdem mal wieder die Heimtücke des Marktes auf: Allen Gendern empfehle ich, Rasierer „für Männer“ zu kaufen. Die sind nämlich meist besser und kosten dank der „Pink Tax“ auch weniger.

Mein Fazit: Lasst euch von euren Mitmenschen und von bescheuerten Produkten nicht verrückt machen, achtet auf euren Körper und habt Spaß an ihm – dann hat die Scham längst nichts mehr mit euren Genitalien zu tun.

Artikel und Bild von Jule Waizenegger

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