Heute jährt sich zum 75. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung vom Nationalsozialismus. Nach sechs Jahren Krieg trat am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation von Nazi-Deutschland in Kraft – die nationalsozialistische Terrorherrschaft endete.
Was 1945 passierte
Am 2. Mai 1945 kapitulierte Berlin; am 7. Mai unterzeichnete dann der Generaloberst Alfred Jodl im Hauptquartier der Alliierten in Reims (Frankreich) die bedingungslose Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht. Sie trat am darauffolgenden Tag in Kraft. Dasselbe taten zwei Tage später Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel und andere Generäle im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst. Hitler und Goebbels hatten sich zu dem Zeitpunkt schon durch Selbstmord der Verantwortung für Völkermord und Kriegsverbrechen entzogen – Teile der nationalsozialistischen Führungselite hatten es ihnen gleichgetan oder waren geflohen.
Tag der Befreiung seit 1985
In der DDR wurde er gefeiert, in der BRD dagegen galt der 8. Mai lange Zeit vor allem als Datum der Niederlage, über den Völkermord wurde in der breiten Öffentlichkeit weitestgehend nicht gesprochen. Es fehlte an einer lebendigen Erinnerungskultur. Erst 1985 hielt der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker eine Rede zum 8. Mai, die dem Tag eine neue Richtung zuwies:
Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. […] Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.
Richard von Weizsäcker, 1985
Endlich wurde das lange gemiedene Thema Holocaust, das systematische Ermorden der Juden, Sinti, Roma und so vieler anderer von der deutschen Regierung angesprochen und benannt. Ab diesem Zeitpunkt gilt diese Erinnerung als verbindlich, als grundlegend für das deutsche Selbstverständnis. Nicht die Kapitulation und Niederlage, sondern die Befreiung von Krieg und NS-Diktatur ist also spätestens seit Weizsäckers Rede in den Vordergrund der Erinnerungskultur gerückt. Gleichzeitig wollen rechte Kräfte den Diskurs um diese Erinnerungskultur immer wieder verschieben.
Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt: „Zwar wurde auch noch in den 1990er-Jahren vor allem von rechtsextremen Kreisen immer wieder versucht, den 8. Mai erinnerungspolitisch zu besetzen und den Aspekt der Niederlage an Stelle der Befreiung zu setzen. Durchsetzen konnten sich diese Bestrebungen aber nicht.“ Nein, ganz durchsetzen konnten sie sich noch nicht, nur handelt es sich nicht um kleine Kreise und sie haben auch nicht in den 90er Jahren aufgehört zu existieren, wie dieses Zitat vermuten lässt.
Entnazifizierung?
Der AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hat sich jüngst dagegen ausgesprochen, den 8. Mai dauerhaft zum Feiertag zu erklären.
Der 8. Mai hat nicht das Potenzial zu einem Feiertag, weil er ein ambivalenter Tag ist. Für die KZ-Insassen ist er ein Tag der Befreiung gewesen. Aber es war auch ein Tag der absoluten Niederlage, ein Tag des Verlustes von großen Teilen Deutschlands und des Verlustes von Gestaltungsmöglichkeit.
Alexander Gauland, Mai 2020
Außerdem sagte er, der 8. Mai lasse sich nicht „zum Glückstag für Deutschland machen“. Er stellt mit dieser Argumentation Deutschland als „Opfer“ der Alliierten dar: eine Verharmlosung, wenn nicht sogar Glorifizierung des NS-Regimes und ihrer entsetzlichen Verbrechen. Es zeigt sich also: Mit der Befreiung vom Nationalsozialismus hat Deutschland auch heute noch alle Hände voll zu tun. Rassismus und Rechtsextremismus zeigen sich sowohl in den Parlamenten als auch in den etlichen Anschlägen der letzten Jahre und Monate. Bis heute bleibt antifaschistische Arbeit unbedingt nötig.
Ein Feiertag zum Gedenken und Erinnern
Die Auschwitz-Überlebende und Vorsitzende des Auschwitz-Komitees Esther Bejarano wird heute dem Bundestag die Petition „8. Mai zum Feiertag machen!“ übergeben. Die Petition wurde von Bejarano gemeinsam mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) gestartet. In einem offenen Brief, welcher der Petition vorausging, schreibt sie:
Wir haben das große Schweigen nach 1945 erlebt – und wie das Unrecht – das mörderische NS-Unrecht – so akzeptiert wurde. Dann erlebten wir, wie Nazi-Verbrecher davonkommen konnten – als Richter, Lehrer, Beamte im Staatsapparat und in der Regierung Adenauer. Wir lernten schnell: die Nazis waren gar nicht weg. […]
Inzwischen wird vom Erinnern und Gedenken als einer Gedenkkultur gesprochen. Wir spüren, wie tief viele Menschen bewegt sind, manche haben sich das “Nie wieder” zur Lebensaufgabe gemacht.
Sonntagsreden, die Betroffenheit zeigen, reichen aber nicht. Diese Betroffenheit muss zum Handeln führen, es muss gefragt werden, wie es so weit hat kommen können. Es muss gestritten werden für eine andere, bessere Gesellschaft ohne Diskriminierung, Verfolgung, Antisemitismus, Antiziganismus, ohne Ausländerhass! Nicht nur an Gedenktagen!
Esther Bejarano, Januar 2020
Die Partei „Die Linke“ will den 8. Mai langfristig zum gesetzlichen Feiertag machen, in Berlin ist er dieses Jahr zum 75. Jahrestag einmalig zum freien Tag erklärt, in den nächsten Jahren soll er das aber nicht mehr sein. Die Überlebenden des Völkermords werden weniger, auch deswegen ist eine lebendige Erinnerungskultur essenziell.
Viele Gruppen organisieren zu diesem Zweck Online-Aktionen, um gegen die wieder erstarkende, nie vergangene rechte Ideologie zu demonstrieren. Außerdem kann mensch den Tag gut dazu nutzen, eine Gedenkstätte oder einen Friedhof zu besuchen, abends kann eine Kerze ins Fenster gestellt werden. Weitere Infos zu Aktionen und zum Geschichtsrevisionismus gibt es zum Beispiel bei „Migrantifa Berlin“ und der „Bildungsstätte Anne Frank“.
Ein Artikel von Jule Waizenegger
Bild mit freundlicher Genehmigung von Lena Toschke