Polizeigitter

Polizeiliche Repression ist in aller Munde. Aber allzu oft wird die berechtigte Kritik an der Institution Polizei auf die USA begrenzt. Zugegeben, dort tritt die ausufernde Gewalt – vor allem gegen PoCs – unglaublich oft und stark zutage. Aber wie verhält es sich eigentlich hier, in Deutschland? Was hat es mit der deutschen Sicherheitspolitik auf sich? Der Dokumentarfilm „Hamburger Gitter – ein Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ zeigt am Beispiel des G20 Gipfels 2017 auf, welche verflochtenen Wege Politik, Polizei und Medien hierzulande gehen.

Im Juli 2017 fand in Hamburg der G20 Gipfel statt. Die Regierungschefs und -Chefinnen der zwanzig größten Industrie-Nationen der Welt fanden dort zusammen. Aber nicht nur sie kamen in die Stadt, sondern mit ihnen auch circa 80.000 Demonstrant*innen. Sie kritisierten die hier verhandelte Politik als imperialistisch und machten sie verantwortlich für Klimawandel und Krieg.

Polizei und Politik fuhren währenddessen einen harten Kurs gegen die Demonstrierenden: Mit rund 31.000 Polizist*innen gab es den größten Polizeieinsatz der Nachkriegsgeschichte. Es kam im Zuge des Gipfels zu vielfacher Gewalt und Eskalationen. Medial eingebrannt haben sich Plündereien und brennende Autos, Bilder von schwerverletzten Demonstrierenden wurden dagegen eher wenig gezeigt.

Der Film „Hamburger Gitter“ wurde von Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard und Luca Vogel vom linken Filmkollektiv „Leftvision“ umgesetzt. Trotz ihrer offensichtlichen kritischen Positionierung bemühen sie sich um einen facettenreichen Blick auf die Geschehnisse und beschäftigen sich mit den sich überlagernden Ebenen: mit den vielen verschiedenen Demonstrationen, dem riesigen Polizeieinsatz, der dahinterstehenden Politik, mit der medialen Aufarbeitung. Sie versuchen aufzudröseln, was in diesen ereignisreichen Tagen genau passierte und ob sie als Symbol für einen Wendepunkt in der gesamtdeutschen Sicherheitspolitik zu verstehen sind.

Atmosphärische Luftaufnahmen der Stadt wechseln sich mit Filmmaterial von den Demonstrationen selbst und vielen im Nachhinein geführten Interviews mit den verschiedensten Zeug*innen und Expert*innen ab. Berichte und Analysen von 17 Interviewpartner*innen sind im Film versammelt, darunter Wissenschaftler*innen, Polizisten, Journalist*innen, Anwält*innen und Aktivist*innen. Sich teils gegenseitig bestärkend, teils widersprechend beleuchten sie gemeinsam die Situation. Die Tatsachen liegen auf der Hand: Es war zu erwarten, dass viele Demonstrant*innen zum G20 Gipfel kommen würden, es war zu erwarten, dass einige von ihnen Krawall machen wollten. Aber rechtfertigt das den harten Polizeieinsatz, die Einschränkung der Grundrechte aller Demonstrierender, egal ob friedlich oder nicht?

„Es wurde schon ganz am Anfang deutlich, dass die Polizei jede friedliche Versammlung als Angriff versteht.“

Katharina Schipkowski, Journalistin der taz

„Und dafür hat die Hamburger Polizei jetzt diesen heldenhaften Status erreicht, dass sie in einer Situation, in der andere vielleicht noch gezaudert hätten, gesagt haben „Wir machen das“. Und das nenne ich eine Simulation von Kompetenz, weil tatsächlich die Kollateralschäden, die entstanden sind, die Beschädigung im Demonstrationsrecht etc. entweder in Kauf genommen wurden oder nicht richtig eingeschätzt wurden.“

Prof. Rafael Behr, Polizeiwissenschaftler, Soziologe Akademie der Polizei Hamburg

Ein deutliches Beispiel für diese sogenannten „Kollateralschäden“ war die Demonstration „Welcome to Hell“ am Fischmarkt am 06. Juli:

„Wir hatten da eine Flugschutzmauer. […] Wir sind dort dann auch in einer relativ ruhigen Situation in diese beiden schwarzen Blöcke hineingegangen. Nur dann passierte etwas, was die Polizei nicht zu verantworten hat, es gab dann eine massive Gewalt.“

Timo Zill, Polizeidirektor und Pressesprecher Polizei Hamburg

„Das stimmt nicht. Die Polizei hätte anders handeln können. Man muss nicht auf diese Weise in eine Demonstration reingehen und das muss man ja mal sagen, die Polizei war davon ausgegangen, dass die Leute die dort versammelt waren und die sie angegriffen haben, dass die nicht entweichen konnten. Die Polizei hat hinten zum Fischmarkt eine Trennlinie gezogen dann ist sie vorne rein gegangen.“

Christiane Schneider, Mitglied Hamburg Bürgerschaft, DIE LINKE Hamburger Sonderausschuss G20

Und tatsächlich: Die Originalaufnahmen zeigen, wie Polizisten die Demonstrant*innen an die besagte Mauer drücken und prügeln, die Menschen versuchen zu fliehen, eine Frau liegt mit blutigem Kopf auf der Straße, ein Mann liegt bewusstlos da.

Diese Bilder sind eindrücklich. Sie zeigen Härte und fehlenden Humanismus der einzelnen Polizist*innen. Bei ihnen darf aber nicht aufgehört werden, denn Repression fängt erst dort an, wo einzelne Beamte ihre Macht ausnutzen, geltendes Recht brechen und zu Gewalttäter*innen werden. Dahinter steckt ein System.

Denn es war die generelle Agenda der Polizei, bei G20 mit aller Härte aufzutreten, Dominanz durch Bewaffnung und Überwachung zu zeigen. Was zur Problematisierung der Polizei als Institution hinzukommt, ist, dass es keine unabhängigen Stellen gibt, die die Polizei kontrollieren. Polizeigewalt wird nur von der Polizei selbst ermittelt; tatsächlich wurde kein einziger Vorfall von Polizeigewalt bei G20 von einem anderen Polizisten angezeigt.

Die Polizei hatte nicht nur Interesse daran, interne Kritik zu unterbinden, sondern auch die der Presse. Es herrschte am Schauplatz der Demonstrationen ein angespanntes Verhältnis zwischen Presse und Polizei. Letztere wollten oft nicht, dass aufgenommen wird, es gab immer wieder Auseinandersetzungen. Pressevertreter*innen wurden von der Polizei als Mitdemonstrant*innen und als Störfaktoren behandelt, letztlich wurde die Pressefreiheit massiv eingeschränkt.

Andererseits stilisierte sich die Polizei selbst als Medium. Es gab etliche Fake News auch von polizeilicher Seite v.a. auf Twitter, die Angst schürten, Situationen überspitzt darstellten und auch später nicht mehr korrigiert wurden, gibt der Kriminalpolizist Oliver von Dobrowolski vom G20 Antikonflikt-Team zu. Timo Zill bewertete stattdessen Twitter als „sehr gutes Medium der Polizei, das von den Medien auch sehr gut aufgegriffen wurde.“ Diese getweeteten Falschmeldungen wurden teils direkt von Online-Medien übernommen, eine Einordnung oder Prüfung fand nicht statt, sondern stattdessen eine einseitige Berichterstattung.

Wir sind nicht dafür da, Polizeibewertungen zu übernehmen.

Dr. Heribert Prantl, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung

Doch es muss noch über die Strukturen der Polizei hinausgeblickt werden, zur Justiz und Politik. Die Politik hat die Grundlage für das polizeiliche Fehlverhalten gelegt, konstatiert Aktivist Leo im Film.

Wer da vor Ort war und nichts gemacht hat, habe sich bereits des Landfriedensbruchs strafbar gemacht. Oder die Staatsanwaltschaft behauptet, es hätte einen tätlichen Angriff auf Polizeibeamte gegeben in der Variation des „entschlossenen Zugehens auf eine Polizeikette“. Das hat mit Verbürgung für Freiheitsrechte und Versammlungsfreiheit nichts mehr zu tun.

Gabriele Heinecke, während G20 Anwaltlicher Notdienst

Von Seiten des Senats und des damaligen Oberbürgermeisters Olaf Scholz, der mittlerweile zum Vizekanzler und Finanzminister aufgestiegen ist, wurden von Gerichten schon früh harte Urteile gefordert. Das mündete in untypische Strafen. Taten wie z.B. ein Flaschenwurf wurden als Angriffe auf den gesamten Staat bewertet und dementsprechend bestraft.

Olaf Scholz behauptete, es habe bei G20 keine Polizeigewalt gegeben. Die Aufnahmen aus dem Film „Hamburger Gitter“ beweisen das Gegenteil. Auch im Nachhinein fand von Seiten der Polizei und der Politik keine Reflexion der technischen, juristischen, moralischen Fehler statt, eine Aufarbeitung wird verweigert.

Währenddessen ermöglichen die neuen Polizeigesetze eine stetige Aufrüstung der Polizei. Es handelt sich um die schärfsten Polizeigesetze seit 1945 – sie schränken die Rechte von Demonstrant*innen, aber auch der Gesamtbevölkerung, massiv ein.

Doch es scheint, als ob die Gesamtgesellschaft sich nicht so wirklich für eine fortschreitend stärkere Kontrolle und Überwachung interessieren würde. Für viele Leute ist die Polizei nicht die geschlossene, aufgerüstete BFE Einheit auf einer Demonstration, sondern Freund und Helfer, der Typus „nette/r Dorfschutzmann/-frau“, der Sicherheit gibt und Streit schlichtet. Tatsächlich ist aber die Polizei auch schon im Alltag für viele Gruppen ein Subjekt der Repression, z.B. für PoCs, für Arme und Wohnungslose, für Sexarbeiter*innen. Sie sind im gesellschaftlichen Diskurs unsichtbar. Für die Vielen sind sie die „Anderen“. Dieses Narrativ der geschlossenen Mehrheitsgesellschaft, die mit Störenfrieden und Minderheiten nichts am Hut hat, trat auch bei G20 deutlich zutage. „Wir werden viele von euch kriegen“ tweetete die Hamburger Polizei und erschaffte sich so ein Feindbild: Wir, die Mehrheitsgesellschaft und die Polizei gegen euch, die Feinde, die zum Staat und zur Gesellschaft schon längst nicht mehr dazugehören.

„Ein Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ ist der Untertitel des Films. Was passiert also in Deutschland, nicht nur im Schaufenster, sondern im gesamten Laden?

Nicht zu leugnen ist ein gesellschaftlicher Rechtsruck in Deutschland und der EU. Während der Rechtspopulismus erstarkt, werden linke Projekte und Plattformen kriminalisiert. Rassismus und Ausgrenzung durchziehen die Gesellschaft und ihre Institutionen, prägende deutsche Beispiele sind Oury Jalloh und der NSU-Komplex.

„Es wird gern das Bild bedient, die Polizei ist ein Querschnitt der Gesellschaft. Das bedeutet, wenn sich die Gesellschaft mehr nach rechts verschiebt, und auch der Umgangston härter und entmenschlicht wird, macht das auch vor der Polizei nicht halt.“

Oliver von Dobrowolski, Kriminalpolizist, im G20 Antikonflikt-Team

Die Bilanz: Polizeiliches Handeln hat sich verschoben, und zwar nicht nur bei G20, sondern im Gesamten. Mit den Polizeigesetzen werden Regeln eingeführt, die diese Verschiebung abbilden und weiter verschärfen. Es bleiben Fragen offen, im Film sowie im Jahr 2020. Wenn selbst SPD-Politiker wie Olaf Scholz einen solchen Kurs fahren, was könnte erst sein, wenn es irgendwann eine Regierung geben sollte, an der die AfD beteiligt ist?

Die Dokumentation „Hamburger Gitter“ könnt ihr euch auf Youtube anschauen.

Ein Artikel von Jule Waizenegger

Titelbild von Mike Powell auf Unsplash

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