Katja Lewina schreibt über Sex: Sie veröffentlicht schon seit langer Zeit Kolumnen für diverse Magazine, über Beziehungen, Lust und (weibliche) Körper. Diese Kolumnen, überarbeitet und erweitert, sind jetzt in ihrem Band „Sie hat Bock“ erschienen. Von der Aufmachung erinnert das erst einmal sehr an Margarete Stokowskis „Untenrum Frei“. Doch es gibt natürlich ein paar Unterschiede.
Aufmacher für Katja Lewinas Buch ist ihre eigene Geschichte. Ihre Anekdoten sind sehr persönlich und schildern über ihre ersten sexuellen Erfahrungen bis hin zur Gegenwart ihr Erwachsenwerden und ihren Werdegang als cis-Frau in der Gesellschaft. Dabei kommt eine wilde Mischung aus witzigen Erlebnissen, Lernerfahrungen, berührenden Momenten zusammen – aber auch Übergriffe und Gewalt kommen zur Sprache. Wen es triggert, über sexualisierte Gewalt zu lesen, sollte also einige Kapitel überspringen. Da alle Kapitel aber schön übersichtlich vorne mitsamt ihrem Inhalt aufgelistet sind, ist das gut machbar.
Von diesen privaten Schilderungen schafft Lewina immer einen eleganten Übergang zur gesamtgesellschaftlichen Situation: dem Patriarchat. Ihre Anekdoten stehen also nie nur für sich, sondern weisen auch immer auf ihre Kontexte hin: auf Sexismus, auf Unterdrückung, auf Ausbeutung und Erniedrigung. Dabei unterfüttert sie ihre manchmal flapsigen, manchmal scharfen Feststellungen auch immer mit interessanter (wissenschaftlicher) Literatur. Das untermauert ihre Argumente nicht nur, sondern bietet Interessierten auch viele Ansatzpunkte zum selbstständigen Weiterlesen.
Der weibliche Körper wird seit jeher von Männern objektifiziert und bewertet. Und weil wir gelernt haben, dass es uns Vorteile bringt, geil gefunden zu werden, geilen wir uns daran auf.
SIE HAT BOCK, S.117
Trotzdem schafft Lewina leider keinen weiten Blick über ihren eigenen Tellerrand. Im Vergleich zu den cis-Männern, denen sie schon so in ihrem Leben begegnete, ist sie wohl eine straffe Feministin. Aber ihre eigenen Privilegien reflektiert sie nicht so richtig. Es ist sehr unterhaltsam zu lesen, wie sie passioniert darüber nachdenkt, dass keine cis-Frau sich mehr ihrer Intimbehaarung oder ihres Vulvageruchs schämen sollte (dazu habe ich hier auch mal einen Artikel geschrieben). Aber für ein ganzes Buch greifen diese Überlegungen etwas zu kurz. Sexuelle Befreiung ist etwas Gutes und Wichtiges, aber für eine weiße, schlanke, cis-Frau in Berlin ist das sicherlich einfacher gesagt als für andere Personen getan.
Manchmal sind ihre privaten (Sex-)Geschichten sehr nahbar, sehr berührend und lassen Lewina als gute Freundin zwischen den Seiten erstehen. Als Leser*in fühlt man mit ihr und fühlt sich ihr verbunden. Ab und an wirken ihre Beschreibungen aber auch ein wenig forciert und gewollt lasziv – so entsteht den Eindruck, sie wolle schocken oder erregen. Ich könnte mir vorstellen, dass für manch stärker marginalisierte Person Lewinas ausführliche Beschreibungen ihrer Lust auf cis-Männer – und der cis-Männer auf sie – fast ein wenig zynisch zu lesen sind.
Selbst meine Befürchtung, potenzielle Sexpartner durch Behaarung zu verprellen, hat sich nicht bewahrheitet […] Die Typen, die ich will, wollen mich nach wie vor ebenfalls.
SIE HAT BOCK, S. 193
Wer also eine komplexe intersektionale und queere Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse erwartet, ist bei „Sie hat Bock“ falsch. Lewina berichtet eben nur aus ihrer persönlichen Perspektive. Generell hat mich beim Lesen am meisten gestört, dass sie sehr binär schreibt. Natürlich ist es so, dass Menschen in binären Geschlechterrrollen sozialisiert sind und diese Geschlechterrollen werden von ihr auch kritisiert. Aber dass es da eben noch mehr gibt, kommt nicht wirklich zur Sprache. „Sie hat Bock“ berichtet außerdem überwiegend von einem heterosexuellen Lustbegriff. Gegen die eigene sexuelle Beschneidung anzuschreiben, ist wichtig und hochpolitisch. Aber Lewina macht dabei den Denkfehler, sich hier performativ als potentes Subjekt auf die gleiche Stufe stellen zu wollen wie ihre Unterdrücker. Mittlerweile ist die feministische Debatte schon an einem Punkt, an dem ich den Kampf um die Befreiung der weißen, mittelständischen cis-Frau als verkürzt empfinde.
Nichtsdestotrotz liest sich das Buch sehr gut weg, ist unterhaltsam und bietet wie schon erwähnt viele Angebote für die Sekundärliteratur, bei der Lesende dann noch mehr in die Tiefe gehen können. Ein gutes Einsteigerbuch also, dass für Personen aus der Mehrheitsgesellschaft viele Anknüpfungspunkte bietet. Witzig und clever ist Lewina allemal, das merkt man „Sie hat Bock“ an. Wofür sich das Buch meiner Meinung nach auch sehr gut eignet: Sich auf Diskussionen mit Menschen vorbereiten, die vom Feminismus noch nicht überzeugt sind. Durch ihre Eindringlichkeit und Nahbarkeit bietet Lewina viele niedrigschwellige Bezugspukte. Also, nehmt „Sie hat Bock“ eher nicht zum antikapitalistischen Queerfeminismus-Lesekreis mit, aber definitiv zum nächsten Stammtisch mit den alten Schulfreund*innen.

Sie hat Bock
Von Katja Lewina
für 20€ beim DuMont Verlag
Eine Rezension von Jule Waizenegger
Bilder mit freundlicher Genehmigung des DuMont Verlags
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