Meine Demisexualität

Liebe*r Leser*in,

Ich heiße Emma und möchte dir heute etwas über meine Geschichte zum Thema Demisexualität erzählen. Vielleicht kannst du dich darin ja selbst wiederfinden oder wolltest schon immer mal mehr über dieses Thema erfahren. Bevor ich anfange, will ich noch anmerken, dass es hier ausschließlich um meine persönlichen Erfahrungen geht und ich deshalb nicht für alle Menschen sprechen kann und will, die sich mit dem Label demisexuell identifizieren.

Seit fast einem Jahr bin ich das erste Mal in fünf Jahren so richtig single und hatte dadurch viel Zeit, um meine vergangenen Beziehungen und Gefühle zu reflektieren.
Ich habe so in etwa mit 13 angefangen, meine Sexualität zu entdecken und zu hinterfragen. Mit 15 hat mir ein damaliger sehr guter Freund gestanden, dass er sich in mich verliebt hatte und etwas später sind wir ein Paar geworden. Wir waren eineinhalb Jahre lang zusammen und in dieser Beziehung habe ich sehr viel Gefühlsverwirrung verspürt.

Sexuelle und romantische Gesten waren für mich überfordernd

Während meine erste Beziehung teilweise eine sexuelle war, habe ich mich damit nie so richtig wohl gefühlt, genauso wenig mit romantischen Gesten. Ich konnte beides nicht initiieren und war immer sehr überfordert damit, wie ich darauf reagieren sollte. In der Öffentlichkeit hatte ich das Gefühl, eine heteronormative Beziehung performen zu müssen und das hat sich sehr falsch angefühlt. Das alles war mir damals nicht so klar wie jetzt.
Ich habe mich sehr alleine gefühlt mit meinem Empfinden, da ich durch mein Umfeld den Eindruck bekam, nicht reif genug zu sein, ganz typische Nervosität vor meinem ersten Mal zu verspüren, oder vielleicht einfach kein Interesse an Jungs zu haben. Ich hatte zu der Zeit ein paar Freund*innen, die ihre ersten Beziehungserfahrungen gemacht haben und habe dadurch leider einen gewissen “peer pressure” -mäßigen Druck verspürt, mich so wie sie verhalten zu müssen. Das hat meinen Exfreund teilweise glaube ich ganz schön verwirrt, weil er mich zumindest nicht bewusst zu etwas gedrängt hat.
Für mich war die einzig logische Konsequenz aus all diesen Sprüchen und Gefühlen, dass ich “nicht den Richtigen” gefunden hatte, vielleicht einfach nicht verliebt genug war, oder die Beziehungen, wie ich sie in meinem Umfeld erlebte, kitschig fand und sie deshalb nicht auch so erleben und genießen konnte.

Was ist Asexualität?

Zu dieser Zeit kannte ich die Begriffe asexuell und aromantisch bereits, weshalb ich sie gedanklich auch mit mir selber in Verbindung gebracht habe. Ich war mir unsicher darüber, was genau das bedeutete und habe es damit belassen, dass ich mich vermutlich irgendwo im Ace/Aro-Spektrum befinde.
Das Ace/Aro-Spektrum, das “A” in LGBTQIA+, beschreibt eine Grauzone zwischen Asexualität und keiner Asexualität. Mit Facetten dieses Spektrums identifizieren sich Menschen, die nur unter bestimmten Bedingungen oder nur teilweise sexuelle und/oder romantische Anziehung verspüren; Menschen, die gar keine Art von sexueller/romantischer Anziehung verspüren oder anstelle dessen ästhetische/sinnliche Anziehung verspüren und vieles mehr. Hier geht es zunächst nicht um Gender.

Meine asexuelle Beziehung mit einer Frau

Kurz nach der Trennung von meinem Exfreund habe ich mich in eine gute Freundin von uns beiden verliebt, mit der ich dann zweieinhalb Jahre zusammen war.
Diese zweite Beziehung war eine asexuelle. Während meine Exfreundin sich meines aktuellen Wissens nach nicht mit dem Ace/Aro-Spektrum identifiziert, habe ich teilweise mit ihr über meinen eigenen Bezug dazu geredet und so hat sich unsere Beziehung hauptsächlich auf einer mentalen und emotionalen Ebene abgespielt. Ich bin nach wie vor sehr dankbar dafür, da es eine sehr schöne, empowernde Zeit für uns beide war und sie mir nach und nach diesen unterschwelligen Druck zu körperlicher Nähe aus meiner ersten Beziehung genommen hat. Gleichzeitig war es für mich sehr hilfreich, in einer wlw (= woman loving woman) Beziehung zu sein, weil ich so viel weniger “Vergleichsmaterial” hatte bzw. keine anderen Pärchen kannte, mit denen wir uns hätten vergleichen können. Wir haben unsere Beziehung so geführt, wie es uns gepasst hat und sie daran orientiert, wie wir uns entwickelt haben.

Und was ist jetzt Demisexualität?

Demisexualität ist ein Label, welches sich im Ace/Aro-Spektrum befindet.
Sie beschreibt grob eine sexuelle Orientierung, bei welcher erst dann das Bedürfnis nach sexuellen Handlungen mit anderen Personen entsteht, wenn die demisexuelle Person die*den jeweilige*n Partner*in gut kennt und mit ihr*ihm eine tiefgehende Verbindung aufgebaut hat. Oft ist Sexualität in diesem Fall nicht mit einem “Trieb”, sondern dem Ausdruck von Nähe, Vertrauen, Liebe und Zärtlichkeit verbunden. Dies bezieht sich allerdings nicht zwangsläufig auch auf den eigenen Sexualtrieb, welcher durch Masturbation ausgelebt werden kann.
Ich habe für ein Mädchen geschwärmt, welches ich zu der Zeit erst ein paar Monate lang kannte. Vielleicht lag es daran, dass mir von ihr signalisiert wurde, dass wir uns nicht in einem romantischen Kontext begegnen würden, vielleicht auch an ihrer definitiv nicht asexuellen Persönlichkeit. Jedenfalls hatte ich neben meinen starken Gefühlen für sie nicht wirklich das Bedürfnis, ihr körperlich nah zu sein. Das war für mich dann im Vergleich zu meiner Vergangenheit ein kleiner “Aha!”-Moment und ich erkundigte mich nochmal zu Demisexualität.

Wie definiere ich meine Demisexualität?

Ich glaube, dass jede*r solche Label anders versteht und anwendet, aber für mich veranschaulicht meine Demisexualität vor allem, dass ich ein großes emotionales Vertrauen zu Menschen aufbauen muss, um mich ihnen auch körperlich anvertrauen zu können.
Für mich heißt Demisexualität nicht, dass ich ein generelles Problem mit dem Thema Sex habe oder mich nicht dazu äußern kann. Es bedeutet für mich nicht, dass ich mich selbst nicht damit konfrontiere oder keine romantische Anziehung verspüre.

Für mich bedeutet es vor allem, wie ich mit wem sein möchte. Ich habe gelernt, dass ich dadurch nicht komisch bin, dass ich nicht die einzige Person bin, der es so geht und dass die eigene Sexualität mit anderen Menschen auszuleben nichts selbstverständliches ist, auch wenn es in einem Großteil der Gesellschaft anders dargestellt wird.
Sich sexuell nicht einander anzuvertrauen schließt für mich eine romantische Beziehung nicht aus und im Allgemeinen geht es mir immer in erster Linie darum, dem Menschen auf mentaler Ebene nah sein zu können.
Sexualität ist etwas sehr individuelles, sie verändert sich ständig und je mehr ich dies verinnerliche, desto leichter und freier fühle ich mich auch.

Sexualität bleibt für mich ein großes Thema

Ich bin sehr dankbar für beide Beziehungen, weil es sehr verwirrend sein kann, wenn man “nicht nur” pansexuell ist, sondern zusätzlich dazu einer weiteren (a)sexuellen Minderheit angehört. Als „pansexuell“ bezeichnen sich meistens Menschen, denen das Gender ihrer Partner*innen prinzipiell egal ist, sie interessieren sich also theoretisch für „alle“ (griechisch: pan).
Damit war Sexualität in meiner Pubertät von großer Bedeutung für mich und teilweise lege ich heute noch einen großen Fokus darauf, sodass ich mich kaum auf anderes konzentrieren kann.
So waren z.B. Liebe und der klare Unterschied zwischen platonischen und romantischen Beziehungen für mich schon immer schwer zu verstehen, weil ich keine mir bekannten Merkmale wie sexuelle Interaktionen mit einbeziehen wollte bzw. konnte. Allerdings habe ich seit dem Beginn meines Single-Daseins angefangen, mehr auf mich selbst zu hören und zu versuchen, mich und meine Gefühle mehr zu verstehen. Und nun kann ich sagen, dass ich zumindest aktuell weiß, was ich für meine Mitmenschen empfinde. Ich löse mich gleichzeitig immer mehr von dem Zwang, jeder Beziehung ein Label zuzuschreiben, da das manchmal eben einfach nicht so klar ist. Und ich lerne immer mehr, dass das so auch vollkommen in Ordnung ist.

Meine (A)sexualität ist meine Sache

Als pansexuelle Cis-Frau bin ich dankbar für meine Queerness, weil sie mich dazu gebracht hat und mich immer noch dazu bringt, die heteronormativen und sexuellen gesellschaftlichen Standards zu hinterfragen und mich selbst nicht in irgendeine Art von Sexualitätsauslebung drängen zu lassen, mit der ich mich nicht wohlfühle.
Letztendlich gibt es nur ein paar wenige Menschen auf dieser Welt, denen ich mich so nah anvertrauen kann und in welcher Form das passieren wird, das kann ich nicht voraussehen.
Wenn ich jetzt auf meine letzten Jahre zurückblicke, habe ich noch lange nicht alles zu diesem Thema verstanden. Ich habe noch so viel zu lernen, sowohl über diese Welt, als auch über mich selbst. Aber ich fühle mich viel ruhiger als mit 16 und ich weiß jetzt, dass ich eben nicht alleine mit meinen Gefühlen bin. Meine (A)sexualität ist meine Sache und nur ich kann entscheiden, ob ich dieser ein oder mehrere Label zuschreibe, oder eben gar keins.

Ein Artikel von Emma Riechert

Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Emma Riechert

Ein Kommentar zu „Meine Demisexualität

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  1. “ für mich veranschaulicht meine Demisexualität vor allem, dass ich ein großes emotionales Vertrauen zu Menschen aufbauen muss, um mich ihnen auch körperlich anvertrauen zu können.“
    Das finde ich eine durch und durch gesunde und gute Einstellung zu Sexualität. Gefällt mir.

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