„Die Wahnsinnige“: It wasn’t love, it was a perfect illusion.

Johanna ist 23 und wird fremdbestimmt wie Britney Spears: Ihre drei Kinder befinden sich bei ihrem Mann in Antwerpen, während sie mit ihrem vierten Sprössling in Spanien festsitzt. Wird sie zu ihrer Familie gelangen – und will sie das überhaupt?

Triggerwarnungen für dieses Buch: Suizidgedanken, Essstörung

Denn deine Untreue macht mich wahnsinnig.“

Es ist schon interessant: Wenn Frauen in vergangenen Zeiten abwichen von der unterwürfigen Norm, wurden sie entweder verbrannt oder eingekerkert. Johanna die Wahnsinnige ist eine von ihnen. Eigentlich lautet ihr Name Johanna I. von Kastilien und wir treffen auf sie im Jahre 1502 in Spanien. Sie befindet sich in der Festung La Mota, wo ihre Mutter sie eingesperrt hat. Ihre Mutter, das ist Isabella die Katholische. Und weil sie eben so katholisch ist, verfügt Isabella, unzählige Ungläubige hinzurichten. Findet Johanna nicht so gut. Dennoch – im Grunde lässt sich bei Isabella so etwas wie Emanzipation erkennen … zumindest brauchte sie keinen Mann zum Herrschen.

Auf 208 Seiten – erschienen am 18. August 2020 bei DuMont – erkundete Alexa Hennig von Lange eine interessante Frage: Warum wurde Johanna wahnsinnig – oder lag es rein an den Verhältnissen? Johanna wirkt so, als hätte Hennig von Lange in der Geschichte eine ihrer eigenen Figuren wiedergefunden. Passenderweise trägt sie auch eine flammend rote Mähne – Charaktere mit solch einem Haar sind Hennig von Langes Spezialität. 1997 erschien Hennig von Langes Kultroman „Relax“, seitdem hat sie unzählige Jugendbücher geschrieben, nebst Theaterstücken und Erzählungen.

Die Zeit schien auf der Stelle zu treten.“

Die große Stärke der Autorin sind Metaphern und eine unfassbar bildhafte Sprache. Viele historische Informationen zu Beginn schrecken nicht ab, sie sind stets atmosphärisch verpackt. Auch kann sie über die leidenschaftlicheren Momente des Lebens herrlich schreiben – schließlich hatte die junge Johanna ihren Mann, Philipp der Schöne, direkt geheiratet, um nicht länger als einen Tag auf Geschlechtsverkehr warten zu müssen. Vielleicht nicht die beste Motivation.

Philipp ist sehr am Titel der Kronprinzessin interessiert – noch mehr als an anderen jungen Frauen. Schon alleine, weil die weniger störrisch sind als Johanna. Sie sind sehr viele Kilometer von einander getrennt, so dass Johanna sich zunächst hauptsächlich mit dem Thema Religion herumschlägt. Sie weigert sich zu beten und sieht vor allem Konflikte damit, wie fromm ihre Mutter beichtet und im nächsten Moment wieder Kriege führt. Aufmüpfig, wie Johanna ist, möchte sie gar dem Bischof die Beichte nehmen.

Jahr für Jahr, wenn [die Pest] in Wellen kam.“

Überhaupt ist Johanna berühmt-berüchtigt für ihre Wutanfälle, oftmals angestachelt von den Eskapaden ihres Mannes. Außer sich wirft sie alles um sich, um im nächsten Moment wieder eine aufrechte Haltung anzunehmen und klare Gedanken zu fassen: Sie möchte ihrem Mann eine gleichberechtigte Ehefrau sein. Abstrus, bedenkt man, dass sie eigentlich mit dem Tod ihrer Mutter mehr Macht besitzen wird als er je hatte. Davor hat der ganze Hof Angst – schon ihre Großmutter wurde von ihrem Ehemann in den Wahnsinn getrieben. Und Johannas Traum von Selbstbestimmung lebt sie durch Magersucht aus, dem einzigen Mittel, ihren Körper zu kontrollieren.

Möglicherweise stimmt es auch, was man über sie sagt: Ein wenig wahnsinnig ist sie schon. Interessant: in einem Moment „wild wie das Meer“, erzählt sie im nächsten dann dem sonst verstoßenem Baby lieblich ihre Geschichte. Trotzdem sei gesagt: Johanna ist so früh Mutter und Thronfolgerin geworden, kann man da gar nicht anders, als irre zu werden? Schlussendlich schafft sie es über den Ozean zu ihrer Familie, doch auch dort darf sie längst nicht zur Ruhe kommen. Trotzdem ist die Zeit mit ihren Kindern für sie die schönste – kein Wunder, hatte sie ja selbst nie eine Kindheit.

Die Dienerinnen stoben wie riesige Nachtfalter auseinander.“

Trotz ihrer Kämpfe mit ihrer Mutter und ihrem Ehemann möchte Johanna deren Aufmerksamkeit. Im Laufe des Buchs legt sich dieser Wunsch allerdings – Johanna wird erwachsener. Und Johanna ist nicht dumm – sie ahnt, dass es Probleme geben wird, die Krone zu übernehmen. Wollen tut sie es ohnehin nicht – Isabella legt in ihrem Testament fest, Johanna soll so herrschen, wie sie es tat.

„Die Wahnsinnige“ ist schlussendlich ein Buch über unerwarteten Frauenzusammenhalt und schäbige Cis-Männer. Darüber, wie wahnsinnig Macht macht – und welchen Preis vor allem Frauen leider dafür bezahlen. Immerhin wurde diese Hysterie noch bis in die 60er Jahre in Deutschland einer Frau angedichtet, wenn sie einmal unleidig wurde. „Die Wahnsinnige“ lässt die Leser*innenschaft nicht los – und so möchte man auf jeden Fall wissen, wie es weitergeht. Über Wikipedia hinaus, in Hennig von Langes Schreibe.

Ein Artikel von Simone Bauer
Titelbild und Cover: Dumont Verlag


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Simone Bauer (cis/weiblich) debütierte 2011 im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag und hat seitdem sechs Romane veröffentlicht, zuletzt 2018 „Butterflies – Die Göttin wird sich erheben“ mit einer Baby Butch in der Hauptrolle. Sie veröffentlichte zudem Kurzgeschichten bei verschiedenen Verlagshäusern und arbeitet als Journalistin für Online, Print und Radio, unter anderem für die MISSY. Ihrer Leidenschaft, über japanische LGBT- und Popkultur zu schreiben, geht sie bei den Magazinen des Raptor Verlags nach.

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