Kennt ihr schon Futur Drei? Nein? Dann aber schnell ins Kino und den Film anschauen, es lohnt sich sehr. Ich habe mit Arpana Aischa Berndt, Faraz Shariat und Raquel Kishori Dukpa über den Film und den dazu erschienen Katalog „I See You – Gedanken zum Film Futur Drei“ gesprochen.
Der Katalog versammelt Gedanken zu dem Film, stellt Fragen und lässt verschiedene Menschen zu Wort kommen. Innerhalb von zwei Tagen habe ich den Katalog verschlungen, Beiträge dreimal gelesen und den Film nochmal aus einer anderen Perspektive erlebt. Ich möchte euch gar nicht zu viel verraten, aber so viel sei gesagt: ich kann euch nur wärmstens empfehlen, den Katalog durchzublättern und zu lesen. Er gibt Einblicke in den Prozess des Films, betrachtet diesen aus verschiedene Perspektiven und stellt Fragen: Wie können wir diskriminierungskritisch arbeiten? Was bedeutet Typecasting? Wer erzählt welche Geschichte(n)?
Ein Katalog zwischen akademischer Sprache und Popkultur, zwischen innen und außen, zwischen Fragen und Antworten. Kaufen könnt ihr ihn für 15,00 € hier oder im Buchladen eures Vertrauens. Es lohnt sich!

Stellt euch doch bitte einmal kurz vor – wer seid ihr und was war eure Rolle während des Prozesses an dem Film und/oder dem Katalog? Und was ist euer Lieblingssnack?
Raquel Kishori Dukpa: Ich bin Raquel und habe in den Bereichen Casting, Recherche und Produktion mitgewirkt. Meine Lieblingssnacks sind Bubble Tea und Mochis.
Arpana Aischa Berndt: Ich bin Arpana, habe vor und während des Drehs gemeinsam mit Hoa Nguyen und Judith Greitemann das Vermittlungsprogramm geleitet, mache Social Media-Arbeit und habe jetzt mit Raquel gemeinsam den Katalog “I See You” herausgegeben. Mein Lieblingssnack ist natürlich auch Bubble Tea (Taro/ 50% Zucker/ kein Eis/ schwarzer Reis oder Tapioka).
Faraz Shariat: Ich bin Faraz und bin Regisseur, Autor und Produzent von FUTUR DREI. Mein Lieblingssnack ist aktuell Walnuss-Cake.
Ihr habt an dem Film Futur Drei sowie auch an dem Katalog zum Film kollaborativ gearbeitet. Was bedeutet Kollaboration für euch? Und worin seht ihr das Potential in Kollaborationen?
F: Ich begreife meine Arbeit oft als Gastgeber: Menschen mit tollen Skills und Perspektiven auf eine Party einladen, um gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Ideally zumindest, haha. Kollaboration bedeutet für mich, Räume zu schaffen in denen Erfahrungen und Qualitäten nebeneinander wirken können, ohne permanent auf dem Prüfstand zu stehen. Vertrauen darin zu haben, dass man selbst nicht alle Antworten auf parat haben muss. Sich zu trauen, Fragen zu stellen.

Wie entstand die Idee zum Katalog? Was bedeutet der Katalog für euch persönlich und als Team?
R: Die Idee zum Katalog stammt von David Uzochukwu – der ebenfalls für das Cover desselben verantwortlich ist. Die Idee war es viele der Fragen, die uns während und nach der Produktion von FUTUR DREI begleitet haben, weiter zu denken und andere Personen einzuladen diese Fragen zu besprechen. Der Film selbst macht diese Fragen nach Produktionsstrukturen und wie dieser Film entstanden und rezipiert wird ja erstmal nicht transparent. Während des Prozesses sind uns oft unsere eigenen Grenzen bewusst geworden, indem worüber wir, als zweite oder dritte Generation, sprechen können. Wir möchten auch zeigen, dass dieser Film nicht der erste ist, der sich mit diesen Fragen beschäftigt, sondern das auch wir in eine Form von Geneaologie eingebettet sind. Und das er auch nicht der letzte sein darf, sondern Ansatzpunkt weiter zu denken, wenn es um die Repräsentation von nicht-weißen und queeren Perspektiven geht.
A: Für uns bietet der Katalog die Möglichkeit, dass Gespräche und Diskussionen, die bei der Entstehung des Films geführt wurden und werden einen Ort haben. Gleichzeitig verstehen wir diese als nie abgeschlossen, denn die Idee ist über die Strukturen und Barrieren im Kulturbetrieb stetig im Gespräch zu bleiben. In Rezensionen und Besprechungen zu FUTUR DREI scheint es manchmal so, als sei dies der erste Film der mal etwas “anders” macht und zum ersten Mal nicht-weiße Menschen abseits von Stereotypen zeigt. Es ist aber weder der erste Film, wie Raquel schon meint und wir im Katalog auch zeigen, noch kann FUTUR DREI als die Zukunft des deutschen Kinos verstanden werden. Letzteres ist zwar schmeichelhaft, aber wir wollen eigentlich darauf hinarbeiten, dass wir nicht den immer gleichen Hindernissen begegnen und noch viel mehr Menschen ihre Geschichten erzählen können. Der Katalog macht Fragen auf, die uns für diesen Prozess wichtig sind.
Kemi Fatoba fragt in dem Katalog zum Film: „Brauchen wir wirklich einen Seat at the Table oder sollten wir nicht vielmehr unsere eigenen Tische bauen, an denen alle Platz haben?“ Das ist eine spannende Frage, gerade im Hinblick auf die veralteten Strukturen der Filmbranche, worauf sich Fatoba in dem Abschnitt bezieht. Wie würde euer Tisch aussehen? Wer würde dort sitzen?
R: Da stimme ich Kemi total zu. Für mich als Casterin ist es so ermüdend zu sehen, dass Repräsentation von nicht-normierten Personen immer nur auf der Ebene der Besetzung statt findet. Die Autor*innen, Redakteur*innen und vor allem die Produktion bleibt meistens unverändert. Die Film- und Fernsehbranche muss endlich begreifen, dass es nicht reicht nur ein paar BIPoCs in Neben- und Hauptrollen zu besetzen, sondern das sich auch verändern muss, wer von diesen Geschichten wirtschaftlich und Erfahrungstechnisch profitiert. Und das sind dann doch sehr oft weiße Männer. Für mich würden an diesem Tisch vor allem Personen sitzen, deren Perspektive wertvoll für die Geschichte sein kann, die man erzählen will, und nicht unbedingt die Personen mit der meisten Erfahrung oder Ansehen in dieser Branche.
Ich habe erstmals eine nicht-weiße Frau getroffen, die in einer Filmproduktion in einer höheren Position als ich gearbeitet hat. Das hast irgendwie total was mit mir gemacht und ich fand es krass, dass das einzige Jobangebot, was ich als Producerin je bekommen hab, von ihr kam.
A: Ich gehe da total mit Raquel mit. Wir können nicht davon ausgehen, dass sich von heute auf morgen die Strukturen in der Filmbranche ändern. Einen neuen Tisch zu bauen ist da sehr verlockend. Wenn in spannenden Produktionen und Redaktionen nur Menschen sind, die an Filmhochschulen waren und/ oder langjährige Erfahrung haben, dann sind es nicht unbedingt BIPoC, migrantische, queere Menschen oder Menschen mit Arbeiter*innenhintergrund, denn schon bei den Auswahlprozessen an Filmhochschulen wird stark selektiert. Ich mache die Erfahrung, dass es sich lohnt Menschen auch ohne viel Erfahrung oder spezieller Ausbildung ins Team zu holen, wenn sie spannende Geschichten zu erzählen haben und engagiert sind. Einzelne Techniken und Skills können dann im Arbeitsprozess erlernt werden.
Was für Herausforderungen sind euch während des Prozesses (des Films sowie des Katalogs) begegnet? Wie seid ihr mit diesen Herausforderungen umgegangen?
F: Die Finanzierung des Films war wahnsinnig komplex. Wir haben beinahe 30 Förderanträge geschrieben und mit einigen Absagen der deutschen Filmförderungsanstalten emotional umgehen lernen müssen. Nach dem zehnten “Tut uns Leid, ihr wurdet nicht gefördert”, ist manchmal nicht nur schwer weiter daran zu glauben, dass der eigene Platz in der deutschen Kulturlandschaft verdient ist, sondern auch nahezu unmöglich, dem eigenen Team eine faire Arbeitsstruktur zu schaffen.
Im Katalog wird über diskriminierungskritisches Arbeiten geschrieben. Wie habt ihr das konkret in eurer Arbeit zum Film und/oder zum Katalog umgesetzt? Gab es gemeinsame Workshops oder Beauftragte?
R: Ich glaube wir haben versucht diskriminierungskritisch bzw. sensibel zu arbeiten, sind aber dabei auch oft an unsere Grenzen gekommen bzw. gescheitert. Einer der Ansätze, wie wir anders strukturell arbeiten können, war es Workshops für BIPoCs vor dem Dreh zu veranstalten, die Themen des Filmes aufgreifen und auch die Teammitglieder ihre jeweiligen Expertisen vermitteln lassen. Der Workshop war für alle geöffnet, die irgendwie an diesem Projekt, ob als Statist*innen oder anderweitig, beteiligt waren.
A: Ich glaube wir sind nicht nur an unsere Grenzen gekommen, sondern auch an die Grenzen, was der Kulturbetrieb uns ermöglicht. Der Workshop im Vorfeld hat aber das Gespräch über Diskriminierung und Machtverhältnisse normalisiert, sodass sich nicht nur die Workshopleitenden verantwortlich gefühlt haben diese im Blick zu haben, sondern auch viele andere Menschen am Set. Im Katalog geht es dann genau darum zu hinterfragen, ob unsere Vorgehensweise tatsächlich funktioniert oder nicht. Einiges funktioniert, anderes nicht und da können wir weiter machen.

Im Film spielt ihr ja auch des öfteren mit dem Blick der Zuschauenden, der von bestimmten Sehgewohnheiten geprägt ist. Nehmen wir als Beispiel die Szene, in welcher Parvis und Amon im Bett liegen und der Vater von Parvis in das Zimmer kommt – Amon springt auf, sammelt alles ein und rennt raus. Als Zuschauerin habe ich mich dabei ertappt, wie ich dem Vater automatisch zugeschrieben habe, dass er noch nicht wusste, dass Parvis schwul ist und es jetzt Stress gibt – denn das ist eine klassische Erzählung in vielen queeren Filmen. War euch von Anfang an klar, dass ihr mit dieser klassischen Erzählung eines „coming outs“ brechen wollt?
F: JA! Es war uns wahnsinnig wichtig, mit den Zuschreibungen zu brechen, die queere und nicht-weiße Geschichten im deutschen Film und Fernsehen ziemlich oft charakterisieren. Die eigenen Sehgewohnheiten sichtbar zu machen, ganz nah am Klischee zu schreiben, um es dann umso eindrücklicher brechen zu können, unser Publikum durch Kamerablicke selbst mit in Verantwortung zu ziehen, dem Schmerz der Realität seinen Raum geben und doch das politische Potenzial der Fiktion zu nutzen, um eine Repräsentation zu schaffen, die empowered.
Welches Potenzial hat der Film für euch, wenn es darum geht, Sehgewohnheiten zu verändern?
F: Teilnehmen, Inspirieren, Beweisen.
Was hat sich seit Futur Drei für euch verändert? Was wünscht ihr euch für die Zukunft des „deutschen“ Kinos?
F: Wir, also das Filmkollektiv JÜNGLINGE, haben zum Teil mehr Möglichkeiten Film- und Serienstoffe zu pitchen. Streaming Plattformen, Förderungen und Produktionsfirmen haben mittlerweile alle verstanden, dass Mut zu diversen Geschichten auch vom Publikum belohnt wird.
Es gibt viele junge BIPoC Menschen und queere Menschen, die von eurer Arbeit begeistert sind und vielleicht jetzt auch ihre Geschichte erzählen wollen. Euer Film zeigt, dass es möglich sein kann, eigene Geschichten zu erzählen und mit den normativen Erzählungen weißer Menschen zu brechen. Was sind eure Ratschläge für Leser*innen, die ihre Geschichten erzählen wollen, aber noch nicht wissen, wie und wo sie anfangen sollen?
F: 1) Fang bei dir an. Das autofiktionale Erzählen hat mir so viel Kraft, Sicherheit und Mut gegeben in der Entwicklung von FUTUR DREI. Gerade wenn du selbst nicht an einer klassischen Filmhochschule warst, ist es manchmal wahnsinnig schwierig sich zu behaupten und daran zu glauben, dass man eine Chance hat, gehört oder gesehen zu werden.
2) Sei naiv. Ich glaube, dass es uns wahnsinnig geholfen hat, dass wir keine genaue Vorstellung davon hatten, was es bedeutet einen Kinospielfilm zu machen. Ist eigentlich auch egal, einfach anfangen und learning by doing. Auch wenn wir eigentlich immer schon sofort losdrehen wollten, hat es uns letztlich total geholfen, dass Projekt in vielen kleinen Schritten zu gehen.
3) Hol dir spezifisches Feedback. Es ist so wahnisinnig wichtig, sich Feedbacks von Menschen zu holen, deren Perspektiven und Gedanken man schätzt und vertraut. Dass mus nicht heißen, dass ein queer-bpoc Stoff nur von queeren Bpocs gefeedbackt werden sollte, aber dass es Leute feedbacken sollten, die Wissen und Sensibilität mitbringen für die eigene Agenda.
4) Connecte dich. Frag Menschen, die du inspirierend findest oder die das schon gemacht haben, was du machen willst, ob sie sich mit dir treffen und ihre Erfahrungen aus der “Industrie” mit dir teilen. Es hat uns so viel Sicherheit gegeben, von erfahrenen Produzent*innen zu hören, wie man einen Antrag schreibt, wie man Filme pitched usw.
Interview: Lea Terlau
Bilder mit freundlicher Genehmigung von EDITION SALZGEBER/JÜNGLINGE FILM
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