Content Notification: Dieser Artikel verhandelt das Thema Essstörungen und Sucht. Wenn Du Dich nicht wohl mit diesem Thema fühlst oder selbst davon betroffen bist wollen wir Dich dazu ermutigen mit einer Freund:in oder Familienangehörigen Deines Vertrauens zu sprechen.
Wir subtrahieren ein Jahr und hunderte Kalorien von meinen Mahlzeiten. Ich bin hungrig. Damals war es leicht. Damals war ich leicht.
Ich bin so dünn, sagte mir jeder. Ich bin so krank, sagte mir mein Körper. Ich ignorierte sie beide. Wer denkt, man kann nur von Drogen abhängig werden, von Substanzen, die man dem Körper zuführt, hat sich noch nie nichts zugeführt. Das Nichts ist einnehmend. Es ist ein schwarzes Loch. Es saugt dich ein, es saugt dein Leben ein. Denn schwarze Löcher können auch eine Heimat sein.
Du bist, was du isst.
Iss nichts mehr, und du hörst auf zu sein. Ich hungere, also bin ich nicht ich. Denn Ich ist dick. Ich kann nicht mithalten, wenn ich vor ihr und ihren Problemen fliehe. Ich ist schwer und hat schwere Probleme. Die Probleme schrumpfen mit mir, denke ich, und merke nicht wie sie wachsen, während ich schrumpfe, wie sie von mir zehren und sich von mir ernähren, während ich mich weiterhin brav von Nichts ernähre.
Je mehr Sport du machst, desto weniger kommst du zur Ruhe. Wenn dein Körper nicht zur Ruhe kommt, hat dein Geist kein festes Zuhause mehr. Dann hat er keine Wände, um Bilder mit schlechten Erinnerungen aufzuhängen, kein Bett, in dem er schlimme Träume träumen kann. Was für eine Erleichterung.
Die einzigen schlimmen Träume, die du jetzt haben wirst, sind die vom Essen. Man träumt immer davon, was man im echten Leben nicht machen kann, was unmöglich und gleichzeitig dein größter Wunsch ist. Andere träumen vom Fliegen. Du träumst vom Essen.
Es ist ja nicht so, dass du nichts mehr isst. Du isst, viel. Viel zu viel, du kannst dich an jeden Bissen des vergangenen Monats erinnern. Und an das schlechte Gewissen, das du mitisst; es wächst, während dein Magen sich füllt. Am Anfang linear. Irgendwann exponentiell.
Und der Ekel, der wächst auch. Je leckerer das Essen, desto mehr ekelst du dich. Vor dir. Vor dem, was du bist und was aus dir wird. Jede Kalorie macht dich ekliger.
Über die Angst brauchen wir gar nicht zu sprechen. Früher hattest du Angst vor den Monstern unter deinem Bett, heute vor dem Essen auf deinem Teller. Gegen die Monster warst du immer hilflos, aber gegen diese Angst nicht. Gegen diese Angst kann man hungern. In beiden Szenarien kann man nicht schlafen, wegen knurrenden Monstern oder knurrendem Magen, aber nur in einem hast du dabei ein gutes Gefühl. Was für eine Erleichterung.
Und wird nicht alles leichter, wenn du leichter wirst? Verschwinden die schweren Dinge im Leben nicht gleichzeitig mit dir, ist das nicht eine leichte Rechnung? Merkst du nicht, wie deine Sorgen abnehmen, wenn du es tust? Du bist schon soweit geschrumpft, in dir ist nur noch Platz für eine einzige. Die Sorge, zuzunehmen, natürlich, die Sorge ums Essen und die Kalorien und den Sport und das Fett. Aber das ist eine kleine Sorge, wirklich. So klein, dass sie immer da sein wird, egal wie sehr du schrumpfst. Sie nährt sich vielleicht sogar heimlich, nachts, an deinem Fett. Trinkt es weg und belohnt dich mit einem dünneren Ich während sie größer wird, und somit immer noch da ist, wenn an dir nichts mehr ist, weil du nichts mehr isst. Sie schaut sich deine Knochen im Spiegel an, und ist nicht deine Hüfte immer noch zu breit?
Dein Universum ist nun mal ein Mikrokosmos geworden, in ihm ist kein Platz mehr für solche Dinge, die Leben geben, die expandieren wollen. Stattdessen gibt es da nur noch den Zwang, dich zu minimieren, zu schrumpfen, um als reduzierte Version deiner Selbst zu existieren.
Und das ist schließlich meine Anleitung zum Schrumpfen: eine einfache Rechnung. Du minus du minus du minus du. Du, kleiner als du, immer weiter. Das einzige Problem ist, dass es für diese Rechnung keine Lösung gibt, weil am Ende nichts mehr übrig bleibt. Weil man keine Kalorien zählen kann, wo keine da sind, und was zählst du dann? Die Gramm, die du abnimmst, die Stunden, die du beim Sport verbringst? Aber sind das nicht immer zu wenige, sind diese Zahlen nicht immer zu klein? Sie müssen groß werden, also musst du sie füttern. Stückchen für Stückchen opferst du ihnen von dir, von deinem Körper.
Guck, das ist mein Partytrick. Ich kann verschwinden. Du musst nur noch etwas warten, die Party ist längst vorbei und du sitzt allein da, aber guck, du kannst mir beim Verschwinden zuschauen. Ich weiß, es ist ein langweiliges Kunststück, weil man ja nicht sieht, was nicht mehr da ist. Aber bitte, bleib hier. Das ist alles, was ich noch kann, alles, das mir geblieben ist. Mein Sinn im Leben ist das Nicht-Sein. Das Bemerkenswerte an meiner Existenz ist all das, was nicht da ist. Schau ganz genau hin. Siehst du um mich herum den Geist von dem was ich mal war, was ich sein könnte, sein sollte? Aber ich habe mich hinter mir gelassen. Ich hat angefangen, Ich zu hassen. Ich will Ich verlassen. Guck, so geht schrumpfen: Ich minus ich minus ich. Was übrig bleibt, ist nicht wichtig. Denn ich will keine Lösung. Ich will nur nicht mehr das Problem sein.
Ein Text von Lily Sabath
Photo by Joshua Fuller on Unsplash

Lily Sabath schreibt gesellschaftskritische Kommentare und Poetry Slams. Ihre Texte beschäftigen sich vor allem mit Themen aus den Bereichen Queerfeminismus und psychischer Gesundheit.
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