Wieso es nicht genügt, sich als Frau öfter in einem Seminar zu melden,  um die Decke aus Glas zu zerschlagen

In dem Seminar „Europäische Integration“, welches in dem Rahmen eines Politikwissenschaftenstudiums an der Universität Innsbruck angeboten wird, haben wir uns über das Semester verteilt mit den Thematiken Migration, Mobilität und Integration beschäftigt. Im Verlauf des Seminars haben wir uns mit den unterschiedlichen Arten und Gründen für Migration befasst. Damit, welche Begriffe bezüglich Flucht zu verwenden sind, dass man von irregulärer Migration sprechen sollte und wieso zum Beispiel „Wirtschaftsflüchtling“ kein juristisch richtiger Begriff ist. 

Nach den Rückmeldungen zu den Inhalten des Seminars und dessen Aufbau, kam das Thema Beteiligung auf. Hierzu wurden unterschiedliche Aussagen geäußert: von es sei solidarisch, dass alle versuchen sollten ihre Kamera einzuschalten und mehr Leute sollten sich beteiligen, bis hin zu den Anmerkungen, dass die Beteiligung in diesem Seminar vergleichsweise hoch war und ein guter Austausch stattgefunden hätte. In diesem Zusammenhang meldete sich auch die Seminarleitung zu Wort und traf folgende Aussage, welche hier sinngemäß wiedergegeben wird: Am Anfang des Seminars haben sich mehr Männer zu Wort gemeldet und geredet, was sich im Laufe des Seminars verbessert hat. […]. Wir Frauen sollen uns allerdings nicht wundern, dass es den Paygap, also die geschlechterspezifische Lohnlücke, noch gibt und Männer deutlich öfter in höher gestellten Positionen arbeiten, wenn wir uns schon im Seminar nicht zu Wort melden.

Besonders auf den letzten Satz würde ich hier gern verweisen. Ich würde mit diesem Schreiben gerne darlegen, inwiefern diese Aussage unreflektiert ist, so nicht richtig und keinen Raum in einer Lehrveranstaltung finden sollte, besonders eine, welche sich angeblich kritisch und reflektiert mit Thematiken beschäftigt, welche in dem allgemeinen Diskurs oft von Polemik bestimmt werden.

Der Logik der oben genannten Aussage folgend, sollte es möglich sein, dass Frauen durch eigene Anstrengung und Beteiligung dazu in der Lage sein sollten, gleich viel Geld wie Männer zu verdienen und in hohe Positionen zu gelangen. Diese Ziele, welche Frauen erreichen wollen und wie dies funktionieren soll, spiegeln eine liberale Ansicht von Feminismus wider.

Diese Vereinfachung verkennt die Lebensrealität mit welcher sich Frauen und Menschen, die als solche gelesen werden, konfrontiert sehen. Die Schuld für diese Realität, in diesem Falle die schlechtere Bezahlung und der niedrige Frauenanteil in Führungspositionen, wird dem Individuum zugeschoben, welches wegen dem eigenen Handeln beziehungsweise dem Nicht-Handeln, verantwortlich für jene ist. Diese Aussage und diese Art der Argumentation kann man als „victim-blaming“ bezeichnen. Dieser Begriff bezeichnet eine Vorgehensweise, bei welcher die Schuld oder die Verantwortung für eine Situation oder eine Handlung von dem Täter auf das Opfer übertragen wird.

Zusätzlich zu der Schuldzuweisung ist der Handlungsvorschlag, je nachdem wie man ihn interpretiert, ein gut gemeinter, unbrauchbarer Vorschlag oder aber wie ein Schlag ins Gesicht. Es wird verkannt, dass es sich nicht um ein individuelles Problem handelt, welches durch genügend Selbstoptimierung und Engagement verschwindet, sondern um ein strukturelles Problem. Frauen und weiblich gelesene Menschen erfahren nachweislich Nachteile, wenn es um den Zugang zu dem Arbeitsmarkt geht. Selbst wenn sie es schaffen, in eine Führungsposition zu gelangen, ist die Paygap sogar proportional größer als in anderen Arbeitspositionen. Des Weiteren spielt nicht nur die strukturelle Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle, sondern auch die Erwartung der Gesellschaft an die Frau. Obwohl viele Entscheidungen privat getroffen werden, können diese nicht von den gesellschaftlichen Gegebenheiten getrennt betrachtet werden. Frauen kümmern sich öfter um gemeinsame Kinder und können deswegen oft nur Teilzeit arbeiten, allerdings wird die Arbeit, welche sie im Privaten leisten wird, nicht entlohnt und nicht angerechnet. Zusätzlich zu der Erwartung der Gesellschaft an diese traditionelle Rollenverteilung, bedingen bessere Karrierechancen und ein besseres Gehalt für den Mann diese Wahl zu treffen. Dies sind nur einige Beispiele, welche aufzeigen, wieso es sich bei der geschlechterspezifischen Lohnlücke um ein strukturelles Problem handelt, welches durch diskriminierende Mechanismen auf dem Arbeitsmarkt bedingt werden. Auch gesellschaftliche Ansichten, wie eine Familie auszusehen hat und wer welche Rolle in dieser übernehmen sollte, bedingen diese Ungleichheit. Einerseits findet dies auf der persönlichen Ebene statt, wodurch eine Reproduktion dieser Ansichten stattfindet, andererseits findet sich dieses Bild auch auf der strukturellen Ebene in Form von einer allgemeinen Abwertung und einer einhergehend schlechteren Bezahlung von Berufen, die traditionell von Frauen ausgeübt werden, wieder.

Die Argumente, welche in dem oberen Abschnitt genannt werden, sind nur einige von vielen, die strukturelle Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darlegen. Es soll noch angemerkt werden, dass sich diese Dynamiken noch einmal verändern, wenn andere Faktoren wie zum Beispiel Ethnie mit einbezogen werden. Wenn eine Person aufgrund mehrerer Faktoren wie z.B. Geschlecht, Ethnie und soziale Klasse unterdrückt wird spricht man von einer Mehrfachdiskriminierung. Dieses Zusammenkommen von mehreren Formen der Diskriminierung und deren Wirkung wird mit dem Begriff der „Intersektionalität“ bezeichnet, welcher von Kimberlé Crenshaw eingeführt wurde. In vielen Statistiken stellen Frauen eine Kategorie, eine homogene Gruppe dar. Durch diese Kategorisierung kann zwar die durchschnittliche Ungleichheit zu Männern dargestellt werden, jedoch greift sie nicht die Realität von Frauen auf, welche von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind auf.

Die unzureichende Darstellung der Lebensrealität und somit auch der Ungleichheit betrifft nicht nur Frauen, sondern auch nicht-binäre Personen. Für die Erstellung von Statistiken, welche zum Beispiel die geschlechterspezifische Lohnlücke erfassen sollen, wird oftmals auf öffentliche Register zurückgegriffen, die das eingetragene Geschlecht einer Person beinhalten. Bei nicht-binären, sowie auch Trans* Personen, stimmt diese öffentliche Registrierung oftmals nicht mit deren Lebensrealität überein. Nach diesem Verfahren werden Personen also einfach einer der beiden Kategorien zugeteilt, ungeachtet von der Lebensrealität des Individuums.

Die Auseinandersetzung mit den Daten bezüglich der geschlechterspezifischen Lohnlücke legt demnach nicht nur dar, dass es sich bei der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt um ein strukturelles Problem handelt, sondern auch, dass die Lebensrealität von Frauen, welche Mehrfachdiskriminierung erfahren sowohl als auch von nicht-binären und Trans* Personen unzureichend oder gar nicht erfasst wird.

Die Aussage wurde in dem Kurs wahrscheinlich auf verschiedene Weisen aufgefasst und interpretiert. Meine Auffassung wurde in diesem Text erörtert und stellt eine Reaktion auf die getätigte Aussage dar. Nur weil ein:e Professor:in etwas äußert, bedeutet dies nicht gleich, dass es richtig ist oder hingenommen werden muss. Selbst wenn diese Antwort erst im Nachhinein erfolgt, wie in Form dieses Textes, ist es wichtig zu zeigen, dass es auch andere Ansichten gibt und sexistische sowie andere diskriminierende Aussagen in egal welchem Umfeld nicht einfach so hingenommen werden sollten.

Ein Artikel von Sarah Merkler
Bild von piqsels

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