CN: Polizeigewalt
Seit dem 28. April kommt es in ganz Kolumbien zu massiven Unruhen, die von Polizei und Militär brutal niedergeschlagen werden. Die Demonstrant:innen teilen die Ereignisse in den sozialen Netzwerken und ringen um internationale Solidarität. Lina ist 25 und leistet mit Hilfe von Geldern, die sie über soziale Netzwerke gesammelt hat Erste Hilfe für verletzte Demonstrant:innen in Cali, wo die Lage besonders gefährlich ist. Sie berichtet über ihre Erfahrungen in den letzten Tagen.
„Kolumbien befindet sich gerade in einer der kritischsten Situationen innerhalb der letzten 20 Jahre, die Steuerreform hat bei den Bürger:innen das Fass zum Überlaufen gebracht. An ihr haben sich die Demonstrationen am 28. April entzündet, die inzwischen schon über eine Woche andauern. Zu erklären was in Kolumbien passiert ist sehr zäh, besonders wegen der sozialen und politischen Problematik, die wir hier erleben. Zum Beispiel die Abkehr vom Friedensprozess durch den aktuellen Präsidenten, die exzessive Korruption des Staats, das übermäßige Ausmaß der Armut, die durch Splittergruppen der FARC und Paramilitäre Gruppen im Land und die Covid-19 Pandemie verstärkt wird. Die Bestimmungen der Reformen sind ungerecht, es gibt nicht nur die Steuerreform, es gibt auch eine Reform des Gesundheitssystems die das Modell der USA kopiert und nicht gemacht wurde, um uns zu helfen.
Ich bin 25 Jahre alt, ich habe eine blinde Liebe für Kolumbien und deswegen habe ich mich mit seiner Geschichte befasst, um mich zu informieren, bevor ich spreche und bevor ich irgendeine Art von Kontakt mit den Opfern des Konflikts habe. Obwohl ich dabei viel über den Krieg gelernt habe, musste ich ihn nie so erleben wie wir es jetzt gerade in Cali tun.
Die Situation meiner Stadt ist nicht immer die beste gewesen, viele halten diese Stadt für einen Ort, der zum Leben sehr gefährlich ist. Aber die Realität ist eine andere. Aktuell wird Cali die Stadt des Widerstands genannt. Ich lebe nicht weit vom Flughafen und alles was ich hören kann sind die Helikopter, die immer und immer wieder über uns fliegen. Wir konnten nicht einkaufen gehen, weil die Straßen blockiert sind und bei den Lebensmitteln Knappheit herrscht. Die Zahl der Toten steigt immer weiter aber am stärksten Besorgnis erregend war das, was in der Nacht auf den 4. Mai passierte.
Der Befehlshaber des Heeres Enrique Zapateiro hat die Anweisung erhalten, innerhalb von 24 Stunden die Kontrolle über die Stadt zurückzugewinnen. Zapateiros Vorgeschichte ist nicht die beste und wir wussten, dass er alles tun würde was nötig ist. Das kolumbianische Volk hat lange ignoriert was im Land passiert, aber diesmal ist es anders. Cali leistet Widerstand. Für viele waren und sind die sozialen Netzwerke das Medium des Protests, es wird viralisiert was viele andere nicht sehen können. Gestern (03.05.21, Anm. d. Red.) gab es aus irgendeinem eigenartigen Grund keine Informationen auf sozialen Plattformen, spät nachts haben wir dann festgestellt, dass das Signal zensiert wurde, besonders an den kritischen Punkten wie Siloé (ein besonders armes Stadtviertel im Norden von Cali). Wir wissen immer noch nicht wie hoch die Zahl der Toten und Verletzten dort ist, viele werden mit Gewehren angegriffen.
Ehrlich gesagt haben wir einfach Angst, sehr viel Angst. Nachdem was wir letzte Nacht erlebt haben, fühlen wir uns als hätte man uns die Stimme genommen und alle die da draußen waren, waren allein. Meine Freund:innen und ich haben schon einige Tage nicht richtig geschlafen, wir stehen unter Stress mit wenigen ruhigen Stunden und der Präsident denkt nicht daran seine Meinung zu ändern.“
Trotz der versuchten Zensur werden die brutalen Ereignisse in Kolumbiens Großstädten weiter über die sozialen Medien verbreitet und die Demonstrant:innen rufen dazu auf, die Bilder und Videos zu teilen, internationale Aufmerksamkeit zu schaffen und sich solidarisch zu zeigen.
Hier noch Organisationen oder Gruppen, die ihr finanziell aus der Ferne unterstützen könnt:
- Afros Unidos und Fundacion Bochinche errichten in Cali Service-Points um Erste Hilfe und Essen zu verteilen. Ihr könnt sie per Paypal unter @afrosunidos erreichen.
- Lina sammelt ebenfalls Geld für medizinische Versorgung. Ihr könnt hier für sie spenden!
- Privat organisiertes Fundraising #SOSCOLUMBIA
- Fundraising des Red Condor Collective zur Unterstützung von Aktivist:innen
- Für medizinische Versorgung und Lebensmittel könnt ihr per Paypal unter @sanintlevy und @SOSBUENAVENTURA spenden
- Brigada Estudiantil de Salud könnt ihr per Paypal unter vp.cuunha@gmail.com supporten.

Ein Protokoll von Valentina Mariebelle
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Andrés López

Valentina Mariebelle ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie beschäftigt sich mit gesellschaftspolitischen Themen, vor allem mit Feminismus und Antirassismus.
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