Educate yourself: Nahostkonflikt

2018 war ich in Israel und im Westjordanland, insgesamt für einen Monat. Bevor ich beschloss, in den Nahen Osten zu reisen, wusste ich nicht besonders viel über das Gebiet. Ich wusste, dass es dort schon sehr lange einen Konflikt gibt und es immer wieder zu gewaltvollen Auseinandersetzungen kommt. Aber das war’s im Großen und Ganzen schon. Deshalb begann ich, mich einzulesen, ich wollte schließlich wissen, wohin ich da eigentlich reise. Ich habe mit Romanen begonnen, von der israelischen Schriftstellerin Lizzie Doron und der palästinensischen Schriftstellerin Susan Abulhawa, dann las ich mich in geschichtliche Hintergründe ein und informierte mich mit aktuellen Berichten aus dem Gebiet. Langsam setzten sich einzelne Puzzleteile zusammen. Vor Ort sprach ich mit verschiedenen Menschen: mit einem israelischen Paar, das mich entsetzt anguckte, als ich erzählte, dass ich einen Tag später nach Ramallah, also ins palästinensische Autonomiegebiet, fahren würde. Mit einem jungen Israeli, der von seiner Zeit beim Militär und ständigem Raketenalarm erzählte. Ich saß mit einer Gruppe palästinensischer Studenten in einem Café in Nablus und sprach mit ihnen über ihren scheinbar unmöglich umzusetzenden Wunsch, zusammen einfach ein bisschen wandern und campen zu gehen. Ein palästinensischer Aktivist führte mich durch die von israelischen Siedlungen durchzogene Altstadt Hebrons und erzählte mir vom seinem Leben mit Checkpoints und Anfeindungen und Vorurteilen. Ich besuchte eine Demonstration in Tel Aviv, die gegen Benjamin Netanjahus Flüchtlingspolitik demonstrierte und ich betrat das „Keller-Loch“ in Ramallah (tut mir Leid, anders kann man es nicht nennen), in dem ein alter jordanischer Mann wohnt, der mich vorher durch das Refugee-Camp führte, in dem er lebt. Es gibt in diesem langanhaltenden Konflikt viele Geschichten, vermutlich zu viele um sie alle erzählt zu bekommen, und vermutlich noch viel mehr Meinungen und Haltungen dazu. Um euch eine Orientierung zu geben, ins Thema einzuführen und Informationen an die Hand zu geben, die mir und den anderen Redaktionsmitgliedern hilfreich erscheinen, haben wir eine Liste erstellt. Wenn ihr Ergänzungen habt, seid ihr wie immer eingeladen, sie in die Kommentare zu schreiben oder uns zuzuschicken.

Bücher:

„Geschichte des Staates Israel“ von Carsten Schliwski
In dem handlichen Sachbuch zeichnet Schliwski auf 180 Seiten und auf eine für ein Verständnis des Nahostkonflikts grundlegende Weise die Vorgeschichte und Geschichte des Staates Israel bin in die Gegenwart hinein. Das Buch beginnt mit dem Zionismus vor der britischen Eroberung Palästinas 1917 und reicht bis zur zweiten Regierungszeit Netanjahus.

„Who the fuck is Kafka“ von Lizzie Doron
Von Anfang an ist es eine wechselvolle Freundschaft, die sich zwischen der israelischen Schriftstellerin Lizzie Doron und dem arabisch-palästinensischen Journalisten Nadim entwickelt, begleitet von Vorurteilen und Unverständnis. Es gibt Grenzen der Verständigung. Lizzie hat den Holocaust im Gepäck, Nadim die Nakba – die große Katastrophe – wie Palästinenser*innen die Folgen des Kriegs von 1948 nennen.

„Während die Welt schlief“ von Susan Abulhawa
Frühmorgens, bevor die Welt um sie herum erwacht, liest Amals Vater ihr aus den Werken großer Dichter vor. Es sind Momente des Friedens und des Glücks, die Amal ihr Leben lang im Herzen trägt – ein Leben, das im Flüchtlingslager beginnt, nach Amerika führt und dennoch stets geprägt ist vom scheinbar ausweglosen Konflikt zwischen Israel und Palästina.
Über vier Generationen erzählt Susan Abulhawa eine tief berührende Geschichte über den Verlust der Heimat, eine zerrissene Familie und die immerwährende Hoffnung auf Versöhnung.

„Limassol“ von Yishai Sarid
Ein auf Selbstmordattentate spezialisierter israelischer Geheimdienstler erhält einen ungewöhnlichen Auftrag: Über eine Schriftstellerin soll er Kontakt zu einem todkranken Dichter aus dem Gazastreifen herstellen, dessen Sohn des Terrorismus verdächtigt wird. Doch schon bald wird der Ermittler selbst in die Ereignisse hineingezogen, bis er schließlich im zypriotischen Limassol vor der Entscheidung steht, seiner Pflicht nachzukommen oder gar den Schuldigen zu decken.

„Oliven und Asche“, hrsg. von Michael Chabon und Ayelet Waldman
Für die Anthologie „Oliven und Asche“ haben sich Michael Chabon und Ayelet Waldman mit der israelischen Organisation Breaking the Silence (s. unten) zusammengetan. Breaking the Silence wurde von ehemaligen israelischen Soldat*innen gegründet, die in den besetzten Gebieten gedient und Ungerechtigkeit direkt erlebt haben. Zusammen luden sie 26 international renommierte Schriftsteller*innen ein, sich selbst vor Ort ein Bild von der Lage in den besetzten Gebieten zu machen. Entstanden sind eindrucksvolle Geschichten und Reportagen, die uns den Alltag in Palästina erschreckend klar vor Augen treten lassen.

„Israelis und Palästinenser – Konflikt und Lösung“ von Moshé Machover
Moshé Machover ist ein sozialistischer Aktivist, Mathematiker und Philosoph. Seine Essays entstanden zwischen 1966 und 2011 und reflektieren den Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser*innen vor dem Hintergrund der regionalpolitischen Situation. Außerdem geht es um die Bedeutung der palästinensischen Kämpfe für eine gesellschaftliche Veränderung in der gesamten Region.

Essays von Amoz Oz
Amos Oz war ein israelischer Schriftsteller. Neben zahlreichen Romanen und Erzählungen, schrieb er auch einige Essays zum Nahostkonflikt. Er war ein Vertreter der Zwei-Staaten-Lösung, bei der als Lösung des Konflikts zwei Staaten für zwei Volksgruppen diskutiert werden: Neben den Staat Israel soll es einen unabhängiger Staat Palästina geben. Das Problem an dieser Lösung ist unter anderem die Grenzziehung. Die palästinensische bzw. arabische Seite besteht auf der bis zum Krieg von 1967 bestehenden Waffenstillstandslinie als Grenze, was von israelischer Seite jedoch nicht akzeptiert wird. Hierzu gibt es von Amos Oz bspw. den Essayband „Israel und Palästina: ein Zweifamilienhaus?“.

„Sweet Occupation“ von Lizzie Doron
Fünf Männer, die im Gefängnis saßen und, nachdem sie wieder frei kamen, eine Friedensbewegung gründeten: Die ehemaligen palästinensischen Terroristen Muhammad, Suleiman und Jamil aus den besetzten Gebieten sowie die israelischen Refuseniks Chen und Amil, die den Dienst an der Waffe verweigert haben. Lizzie Doron traf diese Männer. Ein Jahr lang hörte sie ihren Kindheitserinnerungen zu. Sie lernte ihre Träume und Ängste kennen, sie erfuhr von dem Moment, als sie anderen das Leben nahmen. Entstanden ist ein ergreifendes Dokument über einst Radikale, die dem sinnlosen Hass eine Perspektive entgegensetzen.

„Getauschte Heimat: Ein Jahr zwischen Berlin und Tel Aviv“ von Yael Nachshon Levin und Anja Reich
Die Sängerin und Künstlerin Yael Nachshon Levin und die Journalistin Anja Reich lernen sich in Berlin kennen. Kurz darauf zieht Anja als Auslandskorrespondentin nach Tel Aviv, in Yaels Heimatstadt. Die beiden beschließen, sich Briefe zu schreiben, in denen sie sich über ihre getauschte Heimat austauschen, und so entsteht ein Briefwechsel über Heimat und Fremde, über Terror und Sicherheit, über Vorurteile und Antisemitismus und natürlich auch über Freundschaft.

Filme, Dokus & Serien:

The Viewing Booth von Ra’anan Alexandrowicz
Ein super vielschichtiger Dokumentarfilm, der auf der Berlinale 2020 lief. Der israelische Regisseur führt ein Experiment durch: Maia Levy, eine jüdische US-Amerikanerin, sitzt in einem kleinen Raum und schaut sich eine Sammlung von Videos an. Die Videos stammen von der israelkritischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem und von pro-israelischen Gruppen. Die Zuschauer sehen ihre Reaktionen und Überlegungen sowie die Originalvideos. Der Film kreist um ihre jüdische Perspektive, um Voreingenommenheit, um die Macht von Medien und die schiere Unmöglichkeit, hochkomplexe Realitäten in Videos festzuhalten. Für mich einer der besten Filme der Berlinale!

Serie: „Fauda“
Der israelisch-palästinensische Konflikt bietet den Hintergrund für die Geschehnisse um eine Mista’aravim-Spezialeinheit der israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Diese ist auf der Jagd nach dem Hamas-Terroristen Abu-Ahmed, genannt „Der Panther“. Auf der anderen Seite befasst sich die Serie mit den Handlungen der Familie des Abu-Ahmed und der Entstehung ihres Kampfes gegen den Staat Israel.
Die Serie wurde viel diskutiert und stieß auch auf einige Kritik. Man sollte sich beim Anschauen bewusst sein, dass es sich um eine fiktive Serie handelt und aus israelischer Sicht produziert wurde. Außerdem rate ich euch, sie im Original (hebräisch/arabisch) mit Untertiteln zu gucken, da die deutsche Synchronisation sehr schlecht ist.

„Not just your picture“ von Anne Paq und Dror Dayan
Die Doku begleitet die beiden deutsch-palästinensischen Geschwister Layla und Ramsis. Ihr Vater Ibrahim wurde 2014 in Gaza durch einen israelischen Luftangriff getötet. Im Film begeben die beiden sich als Erwachsene auf eine Suche nach ihren Wurzeln und nach Gerechtigkeit.

Presse:

„Resist to exist“ von Helena Köster
Wie in der Einleitung schon erwähnt, war ich 2018 im Westjordanland. Über meine Erlebnisse dort habe ich auch einen Artikel geschrieben, diesen findet ihr hier.

Haaretz

Eine israelische Tageszeitung, die auf Hebräisch und Englisch gedruckt und online erscheint. Sie gilt als kritische Instanz der israelischen Gesellschaft und bezeichnet sich selbst als liberal. Die Zeitung setzt sich u.a. für eine vollständige Trennung von Staat und Religion und gegen die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten ein.

zenith (Print und Online)

Das unabhängige, deutschsprachige Magazin erscheint zweimal im Jahr als gedruckte Ausgabe und befasst sich mit Themen der Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft des Nahen Osten, Nordafrikas und der muslimisch geprägten Welt. Die Ausgaben können auch rückwirkend gekauft werden. Außerdem gibt es ein kostenfreies Online-Angebot.

Le Monde diplomatique, 2017 Nr. 21 „Israel und Palästina. Umkämpft, besetzt, verklärt.“
Die Einzelausgabe des Magazins „Edition Le Monde diplomatique“ widmet sich dem Konflikt zwischen Isreal und Palästina und versammelt ganz verschiedene Texte. Die Ausgabe ist im Online Shop erhältlich.

Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Organisationen und Aktivist*innen:

Breaking the Silence (שוברים שתיקה)
Die NGO wurde von ehemaligen und aktiven israelischen Soldat*innen ins Leben gerufen und veröffentlicht Berichte von Soldat*innen, die in im Gazastreifen, auf dem Golan und im Westjordanland im Einsatz sind oder waren. Damit will die Organisation in Israel und im Ausland über den Besatzungsalltag im Rahmen des Nahostkonflikt aufzuklären. Inhaltlich geht es um mutmaßliche Übergriffe gegen Zivilisten, aber auch um den Arbeitsalltag der Soldat*innen, z. B. an den Checkpoints, oder die Selbstmordquote im Militär.

Organisation: Hebron Peace Center
Das Hebron Peace Center setzt sich für Bildung, kulturelle Angebote und Tourismus in Hebron ein. Sie bieten für Tourist*innen Führungen durch die Altstadt von Hebron an – in dieser kommt es immer wieder zu gewaltvollen Auseinandersetzungen, da die israelische Siedlung Kirjat Arba bis in das Stadtzentrum von Hebron reicht. Als Volunteer kann man gegen Kost, Logie und Arabischunterricht für das Hebron Peace Center arbeiten.

Women in Black (נשים בשחור)
Die Anti-Kriegs-Bewegung begann 1968 in Jerusalem und breitete sich rasch aus. Sie zählt mittlerweile etwa 10.000 Aktivistinnen, die regelmäßig Mahnwachen halten – in Schwarz gekleidet, um Trauer für alle Opfer des Konflikts auszudrücken. Weil sie offen in ganz Israel gegen die Okkupationen einstehen, haben die Frauengruppen oft mit Anfeindungen während der Mahnwachen zu kämpfen.

Schalom Achschaw (שלום עכשיו)
Die außerparlamentarische Bewegung ist in mehreren israelischen Städten aktiv und organisiert regelmäßige Mahnwachen und Demonstrationen. Des Weiteren werden Berichte über die israelischen Siedlungen veröffentlicht. Schalom Achschaw kritisiert, dass diese die Möglichkeit eines Friedens mit den Palästinenser*innen unterminierten.

Judith Bernstein (Aktivistin und Publizistin)
Judith Bernstein wurde 1945 in Jerusalem geboren, ist deutsche Jüdin und Trägerin des Preises »Aufrechter Gang« 2017 der Humanistischen Union Bayern. Gemeinsam mit ihrem Mann Dr. Reiner Bernstein erhielt sie den Preis für die Verlegung von Stolpersteinen in München und für ihren Einsatz für den Frieden zwischen Israel und Palästina. Judith Bernstein ist Sprecherin der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München und organisiert öffentliche Veranstaltungen mit Israelis und Palästinenser*innen aus der Friedensszene. Allerdings unterstützt sie auch die Boykott-Bewegung BDS, die viele als problematisch ansehen.

Palästina Spricht
„Palästina Spricht“ ist eine politische, nicht religiöse, antirassistische Bewegung. Sie vereint palästinensische und nicht-palästinensische Individuen, Aktivist*innen und verschiedene Menschenrechtsgruppen in Deutschland. Sie organisieren in mehreren deutschen Städten politische und kulturelle Aktivitäten, wie Demos, Vorträge und Workshops für palästinensische Sichtbarkeit.

B’Tselem (בְּצֶלֶם)
B’Tselem ist eine israelische NGO in Jerusalem und wurde 1989 gegründet. B’Tselem sieht seine Aufgabe darin, Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten nachzuweisen und die israelische Öffentlichkeit und Gesetzgeber darüber zu informieren. Sie versuchen sicherzustellen, dass Israel die Menschenrechte der dortigen Bevölkerung schützt und seinen Verpflichtungen gegenüber dem internationalen Recht nachkommt.

Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
Die “Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost” wurde 2007 gegründet. 2019 wurde der Verein mit dem Göttinger Friedenspreis geehrt. Es gibt aber auch Kritik an der jüdischen Stimme, die sich wiederum vor allem gegen die Nähe zur Boykottbewegung BDS richtet.

Anderes:

Palästinensisches Olivenöl und Za’atar
Die Schweizer Initiative „Olivenöl aus Palästina“ verkauft Olivenöl und die Gewürzmischung Za’atar aus den palästinensischen Autonomiegebieten. Der Gewinn geht an palästinensische Kleinbauern und an Hilfsprojekte vor Ort, die sowohl Menschen unterstützen, die unter der Besatzung leiden und die Verständigung zwischen den am Konflikt Beteiligten fördern. Die geförderten Projekte, sowie weitere Informationsquellen zum Konflikt können auf der Website eingesehen werden.
Kleiner Tipp am Rande: Pitabrot in Olivenöl getunkt und mit Za’atar bestreut schmeckt wunderbar!

Musik:

HaBanot Nechama (הַבָּנוֹת נֶחָמָה) ist eine israelische Folkgruppe, bestehend aus Keren Karolina Avratz, Dana Adini, and Yael Deckelbaum.
TheAngelcy ist eine israelische Band, die bekannt wurde mit ihrem Lied „My Baby Boy“, in dem sie das Gefühl der Verzweiflung über den Konflikt ihres Landes thematisieren.
47Soul ist eine palästinensisch-jordanische Musikgruppe, die eine Mischung aus Elektro- und Folkmusik macht.
Ali Bumaye (*1985 in West-Berlin) ist ein deutscher Rapper palästinensischer Abstammung.

Ein Beitrag von Helena Köster und Jule Waizenegger
Titelbild von Helena Köster


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