Inhaltswarnung: Thematisierung von gestörtem Essverhalten, Diet-Culture und Fatphobia
Es ist 18 Uhr. Ich stehe mit ein paar Studierenden zusammen und wir snacken was. Plötzlich zählt eine Person aus der Runde auf, was sie heute alles gegessen hat. Es ist nicht viel, die eine Sache von der Liste befindet sich gerade in der Hand der Person. Sofort werde ich zurückgeworfen in meine Schulzeit, in der es unter bestimmten Schüler*innen einen unausgesprochenen Contest gab, wer am Tag weniger gegessen hatte. Dabei wurden auch gerne Getränke mit aufgezählt, die offensichtlich kein Essen waren.
Mal war ich Teil dieser Gruppe, mal nicht. Das kam sehr auf mein Verhältnis zu Essen an, das sich in den Jahren stark veränderte und auch heute noch verschiedenen Faktoren unterlegen ist.
Ich hab Hunger
Aber warum ärgere ich mich so sehr über dieses Auflisten von zu sich genommener Nahrung?
Es gibt verschiedene Gründe. Erst einmal möchte ich klarstellen, dass es für mich Unterschiede gibt in welchem Rahmen diese Liste präsentiert wird. Wenn eine*r Freund*in, mit der* ich gerade zusammen bin, plötzlich auffällt, dass sie* zu wenig gegessen hat und mir das mitteilt, habe ich Verständnis. Es gibt ja durchaus Menschen, die vergessen zu essen oder denen es aus unterschiedlichsten Gründen nicht leichtfällt oder möglich ist, regelmäßige Mahlzeiten zu sich zu nehmen.
Wenn ich hingegen mit mehreren Menschen zusammenstehe und eine Auflistung von Essen erhalte, frage ich mich als erstes warum uns das erzählt wird. Möchte die Person etwas von meinem Essen haben? Liebend gerne! Aber man* kann Hunger auch anders äußern. Es ist es in den meisten Fällen einfach total irrelevant, wieviel und was wer heute schon gegessen hat.
Unser Verhältnis zu Essen ist ein erlerntes und oft fallen solche Aussagen ja auch gar nicht auf. Wir leben in einer Gesellschaft, in der einige Konzerne am Hass auf den eigenen Körper krass viel Geld verdienen. In der Menschen aufgrund ihres Körpers strukturelle Diskriminierung erfahren und in der es schwer ist, ein nicht von Diet-Culture geprägtes Verhältnis zu Essen zu haben.
Fuck the Rechtfertigung
Ok wait. Ich muss ein bisschen was nachholen, ich hab was übersehen. Von früher kenne ich das Gefühl, mich für mein Essen rechtfertigen zu müssen. Was natürlich Bullshit ist. Gleichzeitig habe ich nie strukturelle Diskriminierung aufgrund meines Körpers erfahren und kann mir nicht vorstellen, wie es für Menschen ist, die täglich Mikroaggressionen oder auch ganz offene Fatphobia erleben. Auch bei Menschen, die von Fatphobia betroffen sind, ist es natürlich unwichtig, wie viel wer von was gegessen hat, aber es zu erwähnen kann ein Umgang mit Diskriminierung sein, um sich zum Beispiel vor verletzenden Bemerkungen zu schützen.
Zurück zum Pausenhof. Ich persönlich sehe mich aufgrund einer Auflistung von Essen nicht mehr dazu animiert, mein eigenes Essverhalten zu verändern oder zu verstärken, Fakt ist aber, dass man* sich nie sicher sein kann, welches Verhältnis Menschen zu Essen haben. Und da ist es auch eigentlich egal, wie gut man* die Menschen um sich herum kennt.
Ein Artikel von Rio Theis
Beitragsbild mit freundlicher Genehmigung von Unsplash

Rio Theis (rio/they) studiert in Hildesheim Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis. Rio mag Internet, their Zimmerpflanzen und die Farbe Flieder. Besonders gerne mag Rio queerfeministische Popkultur und findet, dass es davon viel mehr geben sollte.
Foto: Lisa Mausbach
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