Abi 2022 geschafft! …und was jetzt?

Die Lebensphase „Schule“, also diese Sache, mit der sich Menschen in ihrer gesamten Jugend fünf Tage die Woche beschäftigen, hört plötzlich von einem auf den anderen Tag auf. Was erst mal geil klingt und nach Freiheit riecht, bedeutet auch, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was denn nun als nächstes kommt. Hier kommen 6 Tipps, die die Entscheidung erleichtern sollen.

Viele junge Menschen haben vor kurzem ihr Abitur geschafft. Eine Situation, die vor allem für Arbeiter*innenkinder herausfordernd sein kann. Denn eine in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie veröffentlichten Studie von Rolf Becker und Anna Etta Hecken belegt: Jugendliche aus Arbeiter*innenfamilien schätzen ihre Chancen, das Studium erfolgreich zu beenden, geringer ein als Akademiker*innenkinder – selbst wenn sie vergleichbare Schulleistungen aufweisen. Grund dafür sind neben Selbstzweifeln auch fehlende finanzielle Ressourcen sowie fehlende Informationen über mögliche Finanzierungshilfen.

Im Rahmen der pandemiebedingten Schulschließungen haben sich die Verunsicherungen noch verstärkt. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung äußerten im Herbst 2020 45% der befragten Jugendlichen aus nicht akademischen Familien starke Zukunftssorgen, bei denjenigen mit Migrationsgeschichte waren es sogar 52%.

Bildungsexperte und sofatutor-Gründer Stephan Bayer kennt die Verunsicherungen der Schulabgänger*innen aus täglichen Gesprächen sehr genau. Deshalb hat er 6 Tipps aufgeschrieben, um eine gute, individuelle Bildungsentscheidung zu treffen.

Wie finanziere ich mein Studium?

Du möchtest studieren, weißt aber nicht wie du das Studium finanzieren sollst? Dann hier ein paar Infos: Zunächst einmal haben deine Eltern bis zur Vollendung deines 25. Lebensjahres auch während deines Studiums Anspruch auf Kindergeld. Wenn sie sich dazu bereit erklären, dir das Geld weiterzuleiten, ist das ein guter Beitrag zur Finanzierung des Studiums. Eine weitere Finanzierungshilfe ist BAföG. Seit Beginn des Wintersemesters 2020/2021 beträgt der monatliche Höchstsatz 752 Euro für Studierende bis 24 Jahre. Das BAföG besteht zu einer Hälfte aus einem zinslosen Kredit, den du einige Jahre nach Beendigung deines Studiums und nach Eintritt ins Berufsleben zurückzahlst. Die andere Hälfte ist ein staatlicher Zuschuss. Weitere Türöffner können Stipendien sein. Die wohl bekannteste Stiftung zur Förderung begabter junger Menschen in Deutschland ist die Studienstiftung des Deutschen Volkes. Bei deiner Bewerbung solltest du gute Schulnoten, ehrenamtliches Engagement und ein ansprechendes Motivationsschreiben vorweisen können. 

Studium ja, aber welches Fach?

Du kannst dich zwischen all den möglichen Studienfächern nicht recht entscheiden? Dann bietet sich ein Orientierungsstudium an. Dort kannst du dir aussuchen, welche Lehrveranstaltungen du besuchst. Wenn du Lust hast, kannst du also zum Beispiel Mathematikmodule zusammen mit Anglistikmodulen belegen. Das hilft dir nicht nur herauszufinden, was dich interessiert, sondern auch zu erkennen, ob ein Studium an sich das Richtige für dich ist. Das Orientierungsstudium, das 1-2 Semester dauert, ist übrigens keineswegs verlorene Zeit. Wenn du dich dafür entscheidest, ein Studium an der Hochschule weiterzuführen, kannst du dir in der Regel die Leistungen bzw. Credit-Points, die du im Rahmen deines Orientierungsstudiums gesammelt hast, anrechnen lassen. 

Ist eine Ausbildung überhaupt noch was wert?

Vielerorts werden händeringend Auszubildende gesucht – vor allem im Handwerk. Da im Rahmen des Homeschoolings viele Orientierunspraktika ins Wasser gefallen sind, hat sich die Situation noch verstärkt. Laut der Bundesagentur für Arbeit blieben von Oktober 2020 bis September 2021 63.000 Ausbildungsstellen unbesetzt. Ein grundsätzliches Problem ist, dass Abiturient*innen im Rahmen von Beratungsgesprächen nicht ausreichend über die Vielfalt von Ausbildungsberufen informiert werden. Stattdessen wird fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sich das Abi nur dann lohnt, wenn anschließend ein Studium angetreten wird. Viele Abiturient*innen möchten sich aber eigentlich viel lieber praktisch betätigen, statt sich mit den theoretischen Inhalten eines Studiums zu beschäftigen. Gleichzeitig befürchten sie jedoch, dass eine Ausbildung als nicht gleichwertig wahrgenommen wird. Das Problem hat jetzt auch die Politik erkannt. Um zu zeigen, dass berufliche und akademische Bildung gleichwertig ist, gibt es laut dem Bundesbildungsministerium inzwischen die Möglichkeit, durch Fortbildungen die Abschlüsse Berufsspezialist, Berufsbachelor und Berufsmaster zu erwerben – wurde aber auch Zeit!

Welche Möglichkeiten gibt es neben Studium und Ausbildung?

Wenn du dich nach dem Abi nicht gleich in eine Ausbildung oder ein Studium stürzen willst, bietet sich ein Freiwilligendienst an. Das lohnt sich aber auch für den Fall, wenn du doch eine Ausbildung machen oder studieren möchtest – zum Beispiel als Überbrückung der Wartezeit. Außerdem erkennt die Hochschule bei bestimmten Studiengängen den Dienst als Vorpraktikum an. In Deutschland kannst du einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) im sozialen, ökologischen, kulturellen oder sportlichen Bereich machen. Solche Erfahrungen wirken sich nicht nur positiv auf deinen Lebenslauf aus, sondern ermöglichen dir auch über den Tellerrand zu schauen und dich persönlich weiterzuentwickeln. Neben bestimmten Vergünstigungen erhältst du für deinen Freiwilligendienst ein Taschengeld. Beim BFD beträgt es beispielsweise bis zu 402 Euro. Gegebenenfalls kommen weitere Geld- oder Sachleistungen für Unterkunft, Verpflegung oder Arbeitsbekleidung hinzu. Zudem haben deine Eltern weiterhin Anspruch auf Kindergeld.

Wie werde ich zu meinem eigenen Vorbild?

Lass dich von den Biografien besonderer Menschen inspirieren. Das kann zum einen helfen, dir deine eigenen Karrierewünsche klarer zu machen. Zum anderen wirst du sehen, dass viele Erfolgsgeschichten mit Startschwierigkeiten beginnen. Kennst du zum Beispiel Christiana Bukalo von Statefree? Als Frau ohne Staatsbürgerschaft und Wahlrecht hat sie begonnen, ihre eigenen Erfahrungen zu nutzen, um eine Initiative zu gründen, die Staatenlosen den Weg zu Grundrechten ebnet. Solche Lebensgeschichten sind ermutigend, weil sie zeigen, dass sich kämpfen auszahlen kann.

Wer bin ich eigentlich?

Im stressigen Alltag kommen die eigenen Interessen oft zu kurz. Wenn du nach dem Abi dann beginnst, Zukunftspläne zu machen, kann dir aber genau das zum Verhängnis werden. Denn wie sollst du die Zukunft eines Menschen planen, den du gar nicht kennst? Nimm dir also Zeit, um dich und deine Interessen kennenzulernen. Das gelingt dir, indem du dir neben deinen Verpflichtungen Zeit einräumst, um neue Hobbys auszuprobieren oder dich einem kreativen Projekt zu widmen. Erkundige dich zum Beispiel bei deiner Volkshochschule nach Kursen, die dich interessieren. Häufig bieten Stadtverwaltungen in den Schulferien auch kostenlose Workshops zu Themen wie Kreativität oder politischer Bildung an. Wenn dich sowas interessiert, recherchierst du am besten mal, ob es solche Angebote in deiner Stadt gibt. 

Long Story short

Es ist ganz normal, Zukunftsängste zu haben. Und es ist ungerecht, dass Menschen unterschiedliche Möglichkeiten haben, je nachdem wie viel Geld ihre Eltern verdienen oder wo sie geboren wurden oder wen sie lieben und leider noch wegen vielen anderen Kriterien. Aber: Du hast bereits ein Abi in der Tasche! Das ist großartig, denn es bedeutet, dass dir viele Türen offenstehen. Außerdem bedenke: Die Entscheidungen, die du jetzt triffst, sind keine fürs ganze Leben. Du hast immer die Möglichkeit, dich neu zu orientieren. Du hast das Recht, dich auszuprobieren, bis du etwas findest, das dir gefällt. Keine Sorge: Auch auf Umwegen kommst du zum Ziel. Doch um dorthin zu kommen, musst du erst mal eins haben. Frage dich also, was du wirklich gerne machst, was dich gerade interessiert und wofür du deine Zeit und Energie verwenden willst. Denn wenn du etwas hast, wofür es sich zu kämpfen lohnt, bist du stets motiviert – auch wenn mal was schiefläuft.


Titelbild von Brian A Jackson auf shutterstock

Stehender Mensch, Hände in Jeans, schaut gerade in die kamera, Bild ist oberhalb der Knie abgeschnitten
Foto von Sascha Kott, © sofatutor


Stephan Bayer (39) ist Gründer und Geschäftsführer von sofatutor, der umfangreichsten Online-Lernplattform für Schulthemen im deutschsprachigen Raum. Der Experte für digitale Bildung, Podcaster, Soziologe und Politologe engagiert sich daneben in diversen Ehrenämtern und Think Tanks. 

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