.divers: Nadine Beck, stimmt es, dass du mehr als 500 Sexspielzeuge besitzt?
Nadine Beck: Mindestens! Bei 300 habe ich aufgehört zu zählen. Dadurch, dass stetig Neues auf den Markt kommt, erweitert sich auch meine Sammlung.
Wie bist du das erste Mal mit Sexspielzeug in Kontakt gekommen?
Ich bin eine extreme Durchschnittsperson, was das angeht. Ich habe zum 18. Geburtstag von meinen Freundinnen einen Vibrator von Beate Uhse bekommen, der klassischer nicht hätte sein können. Es war ein Fleischpenis in weißer Hautfarbe, geädert, aus Gummi, mit Intimhaaren und im Grunde so, wie man sich ein schlechtes Sexspielzeug vorstellt. Den habe ich kurz ausprobiert, habe ihn für nicht gut befunden und dann lag er ungefähr 15 Jahre in meiner Stifteschublade. (lacht)
Also keine gute Erfahrung und kein guter Zugang zum Thema?
Null, nö. Es gab auch einfach nur Scheiße auf deutsch gesagt. Ich glaube das erste Sexspielzeug, das ich wirklich zu meinem eigenen Gebrauch gekauft habe, war 2016 ein Womanizer. Da war ich in der Reha, mir war langweilig. Da habe ich das gesehen und gedacht, tja jetzt musst du vielleicht auch mal ’ne andere Dimension ausprobieren.
Was waren denn die Dimensionen, die du schon kanntest?
Das fing an mit meiner Doktorarbeit über die Geschichte des Vibrators. Die Idee kam mir, als ich mich durch Produktkataloge des Beate Uhse-Archivs geklickt habe, weil die Vibratoren in diesen Katalogen aus heutiger Sicht so kurios aussahen. Die trugen so bescheuerte Namen wie „Muschikater“ oder „Muschibär“, wo man schnell merkt, dass das Verhältnis zu Sexualität ein anderes war. Dann habe ich geschaut, ob es schon Literatur dazu gibt und habe genau eine Monographie von 1999 gefunden, die teilweise schon wissenschaftlich widerlegt war. Als nächstes wollte ich wissen, wie sich die Dinger anfühlen. Also habe ich versucht, gebrauchte Sexspielzeuge zu ergattern. Es ist extrem schwer! Im Gegensatz zu alten Unterhosen zum Beispiel, ist altes Sexspielzeug absolut tabuisiert!
„Dem Womanizer ist es total egal, welches Geschlecht oder Gender die anwendende Person hat.“
Und dadurch kam die Idee, die Sexspielzeuge auszustellen?
Genau! Es näherte sich ein Jubiläum 2019, nämlich 150 Jahre elektrische Massagegeräte. Der erste von 1869 war noch ein riesiges Gerät, dampfbetrieben und im rein medizinischen Kontext angewendet. Von dort haben sich die Geräte schnell weiter entwickelt, wurden kleiner und es gab eine Abzweigung zu sexuellen Geräten. Ich habe die Ausstellung in der Hamburger L’apotheque so aufgezogen, dass sie 1860 startet und bis heute geht. Außerdem sprechen wir in den Ausstellungen viel darüber, wo ich diese Geräte an meinem Körper benutzen kann und wo erogene Zonen sind. An der Unterseite der Eichel, kann man zum Beispiel den Womanizer wunderbar ansetzen. Das zeigt, dass es dem Sexspielzeug total egal ist, welches Geschlecht oder welches Gender die anwendende Person hat (und es ist ihm egal, welches Geschlechtsorgan die anwendende Person hat, auch wenn es für Cis-Frauen mit Vulven konzipiert wurde. Anm. d. Red.)
Warum eine Ausstellung über Sexspielzeuge?
Um sie zu enttabuisieren, um den Diskurs anzuregen und um ins Sprechen zu kommen. Weil man an Sexspielzeugen auch Gesellschaftsgeschichte ablesen kann. Du findest sie in Bezug zur Stasi, die damit Leute erpressen wollte, indem sie die in der DDR verbotenen Sexspielzeuge in Haushalten platziert hat. Du findest sie in der Frauenbewegung. Du findest sie bei Alice Schwarzer, die sie gehasst hat, weil sie gesagt hat, dass es Penetration ist, also gleichbedeutend mit Macht, also schlecht, weil männlich. Ich wollte keine Ausstellung machen, die nur ein Kuriosum zeigt, sondern Sexspielzeuge in ein besprechbares Setting rücken.
„Die letzten Jahrzehnte hat sich die Industrie auf einer Orgasmusjagd befunden.“
Meinst du, dass aktuell eine Enttabuisierung von Sexualität stattfindet?
Es tut sich total viel, vor allem von FLINTA*s ausgehend. Aber es gibt wie immer auch Gegenströmungen, wie zum Beispiel Leute, die den bescheuerten Begriff „Frühsexualisierung“ versuchen zu etablieren. Offensichtlich ist das Loslösen von althergebrachten Glaubenssätzen eine schmerzhafte Sache. Gerade für Menschen, die über 60 sind und die vollkommen anders in Bezug auf Sexualität und Körperlichkeit sozialisiert wurden. Die lernen das nicht mal eben so um. Wir sind sehr viele Menschen mit sehr vielen Gefühlen.
Wie werden sich Sexspielzeuge in Zukunft verändern?
Die letzten Jahrzehnte könnte man sagen, hat sich die Industrie auf einer Orgasmusjagd befunden. Das hat sich irgendwann zu Ende erzählt. Der Orgasmus ist das Ziel, der Höhepunkt und den kannst du nicht immer weiter steigern. Bis jetzt wurde sich größtenteils auf Vulva, Vagina und anale Penetration konzentriert. Deshalb wird voraussichtlich früher oder später versucht, verstärkt Menschen mit Penis anzusprechen. Das andere ist die Frage, wie man Sexspielzeuge inklusiver machen kann, zum Beispiel für Menschen, die nicht gut greifen können oder die andere motorische Schwierigkeiten haben. Dann finde ich die sogenannten Boomer noch interessant und kann mir vorstellen, dass ältere Menschen in den Fokus genommen werden. Bei denen spielen ganz andere Themen eine Rolle. Die haben keine Angst mehr, schwanger zu werden, die haben Zeit und Geld. Möglicherweise haben sie eine*n Partner*in…
…aber nicht unbedingt Sex.
Genau! Da ist Intimität total wichtig. Anfassen, schmusen, Immunsystem stärken und eben vielleicht nicht noch einen Ritzer mehr im Bettkasten. Sie haben Zeit, sich mit einer Person zu beschäftigen. Es ist viel mehrdimensionaler. Es wird weniger auf Leistung geguckt, sondern auf Qualität. Es würde mich total freuen, wenn Sexspielzeuge für diese Altersgruppe mehr enttabuisiert würden.
Wie sieht es mit jungen Altersgruppen aus und den Tabus?
Junge Menschen lernen meistens schon sehr viel auf TikTok und Instagram. Da gibt es eher das Problem, dass sie sich durch einen Dschungel an Informationen navigieren müssen, der auch viel Scheiß bereithält. Deshalb ist es wichtig, dass es zusätzlich Ansprechpersonen gibt. Es muss auch unbedingt geguckt werden, was für einen Entwicklungsstand das Kind hat. Vielleicht interessiert es sich noch gar nicht für den eigenen Körper. Wenn es keine Fragen hat, lass es. Irgendwann wird es aber merken, dass der Körper sich verändert oder dass Gefühle sich verändern. Dann würde ich zumindest ein Angebot bereithalten und sagen, guck mal, wenn du Informationen suchst, hier sind sie.
Wer sollte Ansprechperson sein?
Mal unter uns, ich hätte keinen Bock gehabt, meine Eltern zu fragen. Meine Eltern sind sau cool, aber es gibt diese Haltung, wo Eltern denken, mein Kind kann mich alles fragen. Manchmal möchte man das als Kind nicht und das ist in Ordnung. Ich fände es total gut, wenn das an der Schule stattfinden würde. Es ist aber das, was am Ehesten aus dem Lehrplan fällt.
„Die wissen kaum was über ihre eigenen Körper und die sollen es ihren Kindern beibringen?“
Wie ist das zu ändern?
Ich möchte einen neuen Workshop namens „Geniale Genitalien“ im Lehrplan verankern, der die Lehrer*innen und Referendar*innen aufklärt. Da soll erst mal anatomisch erklärt werden, so sieht das aus, so kann das funktionieren, das und das kann schiefgehen. Endometriose, erektile Dysfunktion, Vaginismus, aber auch zum Beispiel Cyber Grooming. Was sind all diese Dinge, die im Social Media-Kontext passieren können? Das müssen die einfach wissen, falls die Kids das fragen! Was es eigentlich bräuchte, ist eine auf aktuellen Forschungsergebnissen und mit zeitgemäßen Darstellungen gefüllte Aufklärungsbibel, die Pflichtlektüre ist.
Aufklärung beginnt also bei Erwachsenen.
Für meine Doktorarbeit habe ich Fragebögen an ältere Menschen verteilt, um herauszufinden, wie sich das für die angefühlt hat, als der Massagestab in phallischer Form auf den Markt kam. In meiner Wahrnehmung ist das doch ein tolles Gerät, dass jetzt auf einmal viel mehr Menschen Orgasmen bekommen können. Aber mir wurde klar: die wissen kaum was über ihre eigenen Körper und die sollen es ihren Kindern beibringen? Da war alles voller Märchen, Mythen, vagen Vermutungen, Traditionen oder „Das macht man eben so“. Ich musste vor zehn Jahren auch erst mal mühsam lernen, das Wort Klitoris auszusprechen, ohne mich geistig zu verschlucken. Du musst dich an diese Worte gewöhnen und wissen, was sich dahinter verbirgt.
Du hast vor kurzem das Aufklärungsbuch „Sex in echt“, mit herausgegeben. Welche Rolle spielen Sexspielzeug für Aufklärung?
Mit Sexspielzeug kann man sehr gut den eigenen Körper entdecken. Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass ich die besten Sexspielzeuge immer dabeihabe. Sie sind immer aufgeladen. Da sind zehn verschiedene Aufsätze. Meine eigenen Hände zu benutzen hat etwas sensorisches und ich finde es extrem wichtig junge Menschen dazu anzuregen, Solosex, Selbstbefriedigung und eben auch Sexspielzeuge auszuprobieren. Darum geht es auch in unserem Buch. Wir wollten dazu anregen, darüber nachzudenken, was ich eigentlich mag, wie ich genannt werden will, welche Identität ich habe und wen ich liebe.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Sebastian Müller
Ein Interview von Jasper von Römer
(Ein Porträt über Nadine Beck und ihre Ausstellung zu Sexspielzeug in Hamburg schrieb Jasper von Römer zunächst für die taz)
da kommt mir der Film Hysteria in den Sinn – eine tolle Aufklärung für alle, die noch keine Ahnung haben 🙂
LikeLike