“Immerhin gibt es bereits unsere Generation, in der die Genitalverstümmelung Thema ist und nun werden unsere Töchter unversehrt aufwachsen können.”
„In einer Kultur, in der die Zugehörigkeit zum Stamm und der Respekt geprägt von gesellschaftlichen Regeln und Vorgaben von großer Bedeutung ist, ist die Macht der Tradition und der damit einhergehenden Gruppenzugehörigkeit unbeschreiblich stark“, berichtet die kenianische Aktivistin Vivian Omariba (25) in einer kleinen High School auf dem Dorf in Kisii, im Landesinneren Kenias über eine Tradition, die sie seit ein paar Jahren bekämpft. Sie spricht über die Prozedur der weiblichen Genitalverstümmelung in ihrer Heimat Kisii, im Westen Kenias.
Weibliche Genitalverstümmelung (englisch: Female Genital Mutilation/ FGM (Link zur UN-Defintion)) umfasst alle Verfahren, die die teilweise oder vollständige Entfernung der weiblichen äußeren Genitalien oder deren Verletzung zum Ziel haben, sei es aus kulturellen oder anderen nicht-therapeutischen Gründen, schreibt Plan International auf ihrer Website.
In Kisii werden laut Berichterstattung von Frauen der Gemeinde vor allem Teile der Vagina und die Klitoris von jungen Mädchen zwischen ca. sieben und zwölf Jahren brutal verstümmelt. Den heranwachsenden Frauen wird ihre sexuelle Lust weggeschnitten. Es ist ein Ritus, der tief traditionell verankert ist, vor allem in ländlichen Regionen, wie Vivian aus ihrer Region Kisii berichtet. Die Aktivistin Vivian Omariba erzählt von Geschichten ihrer Großmutter, dass Männer in den Krieg zogen und aus Angst vor der sexuellen Lust der Frauen in ihrer Abwesenheit, die Frauen verstümmelten. “Eines ist über den Ursprung des brutalen Rituals klar: er mündet daraus, dass Männer die Frauen als Besitz in Anspruch nehmen, den sie so stark wie möglich kontrollieren wollen”, sagt Vivian.
Heutzutage erzählen viele Frauen in der Region ihren Töchtern oder Enkelinnen, dass sie nur durch die Beschneidung heiratsfähig und zu wahren “Kisii Frauen“ werden. Ihres Erachtens kann eine unbeschnittene Frau kein vollwertiger Teil der Kultur sein. In Kisii nimmt die regionale Kultur und gesellschaftliche Anerkennung einen hohen Stellenwert ein. Damit einhergehend auch die Zugehörigkeit zur Gruppe. In anderen Regionen und Stämmen des Landes wird die Tradition der Beschneidung zwar häufig von ähnlichen Motiven getragen, jedoch unterscheiden sie sich von Gegend zu Gegend und Kulturkreis zu Kulturkeis. Im Jahr 2011 wurde die weibliche Genitalverstümmelung vom kenianischen Staat verboten, doch verschwunden ist die Praxis von FGM damit noch lange nicht. 2017 betrag die Zahl in Kisii der Mädchen, die der Prozedur unterlagen laut UN-Statistiken 84%.
Da selbst solche in wichtigen Ämtern wie Ärzt*innen oder Polizist*innen mit dieser Tradition aufgewachsen sind, werden Mädchen vermehrt trotz des Verbotes auch in Krankenhäusern ihrer weiblichen Unversehrtheit beraubt und verstümmelt, körperlich und psychisch. “Oft passiert der Akt der Verstümmelung auch bei lokalen Beschneider*innen in bestimmten Dörfern. Beschneider*innen sollen laut Gesetz mit Haft- und Geldstrafen bestraft werden. Wie viele Täter*innen von Beamt*innen wirklich belangt werden ist schwer zu sagen, da selbst hohe Beamt*innen bis hin zu Akademiker*innen so sehr von der Tradition geprägt wurden, dass sie der Kultur unterliegen und so einander decken.”, erzählt Vivian.

Es wird wichtigerweise viel über die hohen Zahlen der Beschneidung gesprochen, doch selten über Aktivist*innen wie Vivian, die sich tagtäglich durch Aufklärung und Dialog für das Ende dieser Tradition einsetzen. Die Zahl der Genitalverstümmelungen ist zwar noch lange nicht bei Null, doch durch Menschen wie Vivian, die sich auf den Weg in lokale Schulen machen und mit jungen Mädchen und Jungen über das gesellschaftlich und kulturell tabuisierte Thema sprechen, sowie mit deren Müttern, Vätern, Großmüttern und Großvätern, senken sie die Zahlen. Auch wenn es ein langwieriger Prozess ist: Ihre Arbeit verändert etwas und gibt so mehr Mädchen eine Chance auf Unversehrtheit. Vivians Arbeit beinhaltet vor allem die Aufklärung über die Risiken der Prozedur. Zudem zeigt sie den Familien alternative Rituale, mit denen die Mädchen ins Erwachsensein geleitet werden können ohne beschnitten zu werden. Ein Vorschlag, der gut ankommt, ist eine symbolische Zeremonie, wie sie bei der Beschneidung einst Tradition war, doch ohne zuvor beschnitten zu werden. Stattdessen lernen die Mädchen vorher die traditionellen Werte und Rituale kennen, worauf dann das Fest folgt.
Vivian selbst wurde nicht beschnitten. Ihre Mutter und Großmutter erfuhren durch Aufklärungsarbeit, dass es keinen medizinischen Grund für die weibliche Beschneidung gibt und von den langfristigen Schäden, die der Tradition gegenüber stehen, wie z.B. Blutungen, Infektionen, einem höheren HIV-Infektionsrisiko, konstanten Schmerzen, Schmerzen beim Sex, sowie beim Gebähren, bis hin zum Verbluten nach oder bei der Beschneidung.
Bis sie die Universität besuchte, hielt sie geheim, dass sie nicht beschnitten war. In der Kisii Gemeinschaft war es meist verpönt nicht beschnitten zu sein. In einigen Regionen Kenias wiederum wurde die Genitalverstümmelung nie praktiziert oder lange nicht mehr so häufig. Dort gilt die Beschneidung als barbarisch und rückständig, berichtet Vivians Kollegin Joyce. Sie besuchte eine Schule im Osten Kenias. Dieser Zwiespalt der Perzeptionen auf die Tradition war für Vivian als Kind besonders schwer zu verstehen, sagt sie. Was ist Kultur, was falsch, was richtig? Heute spricht sie zum ersten Mal darüber, dass sie nicht beschnitten ist und „selbst das kostet Überwindung, denn je älter man wird, desto mehr wird es zum Tabuthema“, meint sie.
Seit fünf Jahren kämpft Vivian nun für die Unversehrtheit von Mädchen und Frauen in ihrer Region durch Workshops für Lehrkräfte, Mütter und Großmütter vor allem der ländlichen Regionen. Sie nennt das Aufklärungsarbeit durch Fakten über die Beschneidung. Als Miss Kisii, Siegerin des größten Schönheitswettbewerbs in der Region, stellt sie für viele Mädchen ein starkes Vorbild in ihrer Gemeinde dar.
Sehr erfolgreich ist mit ihrer Aufklärungsarbeit gegen Genitalverstümmelung auch das „Fulda-Mosocho Projekt“, das vom Fuldaer Verein LebKom e.V. gegründet wurde, um auf Augenhöhe in den Gemeinschaften Menschen über die Risiken und Folgen für die Mädchen aufzuklären. Es wird eine Umgebung geschaffen „ in der sie sich frei von gesellschaftlichem Druck für die Unversehrtheit und gegen die Beschneidung ihrer Töchter entscheiden können“, so der Leitfaden des Projektes. Da die Initiative keine Verbote ausspricht, sondern Aufklärung für Männer, Frauen, Familien und Beschneider*innen liefert und ihnen dann die Entscheidung offenlässt, haben sie großes Vertrauen zu den Menschen in der Gegend gewonnen. Trotzdem ist es bisher ihres Wissen nach noch nicht vorgekommen, dass sich eine Familie nach den Gesprächen für die Beschneidung entschieden hätte. Besonders am Fulda-Mosocho-Projekt ist auch, dass wert darauf gelegt wird mindestens 50% Männer im Programm zu haben, da sie die Gesellschaft noch stark dominieren. Durch den Dialog wird das Thema FGM enttabuisiert und in den Gegenden, in denen das Fulda-Mosocho Projekt aktiv ist auf unter 20% gesenkt. Momentan ist das kenianisch-deutsche Projekt dabei ihren Arbeitsbereich in weitere Subgegenden von Kisii auszubreiten, um irgendwann allen Mädchen ein unversehrtes Leben zu ermöglichen.
Abschließend sagt die Aktivistin Vivian Omariba: „Es ist nicht immer einfach, weil Tradition in unserer Community so wichtig ist und Menschen klar zu machen, dass das keine Tradition, sondern Verstümmelung und Missachtung des weiblichen Körpers ist, wird bei einigen noch lange dauern. Doch immerhin gibt es bereits unsere Generation, in der die Genitalverstümmelung Thema war und nun werden unsere Töchter unversehrt aufwachsen können.“
Ein Artikel von Céline Weimar-Dittmar
Bilder mit freundlicher Genehmigung von Vivian Omariba
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