Noch immer kursieren viele Mythen, wenn es um sexuell übertragbare Erkrankungen und ihre Prävention geht.
Oft wird „Safer Sex“ vor allem mit dem Schutz vor einer HIV-Infektion in Verbindung gebracht – wenn überhaupt. Dabei ist AIDS nicht die einzige sexuell übertragbare Erkrankung, und auch längst nicht die ansteckendste. Auch denken viele unwillkürlich an das Thema Schwangerschaftsverhütung, obwohl Kondome auch unter gleichgeschlechtlichen Paaren einen wichtigen Zweck erfüllen können. Umgekehrt hat sich in vielen Köpfen die längst überholte Annahme festgesetzt, Menschen mit HIV seien quasi permanent und überall ansteckend – dabei ist die Behandlung mittlerweile so weit fortgeschritten, dass „ungeschützter“ Sex mit einer HIV-positiven Person problemlos möglich ist. Einige Expert*innen sprechen hier von einer „Kondomisierung“ – ein Begriff, den ich im Zusammenhang mit „Safer Sex“ sehr passend finde. Denn auch vermeintlich „aufgeklärte“ Jugendliche laufen Gefahr, das Kondom als heiliges Verhütungsmittel zu verehren. Oft ohne zu wissen, dass es lediglich eine (wenn auch sehr wichtige) Möglichkeit ist, um das Risiko einer Ansteckung zu reduzieren.
Was sind sexuell übertragbare Erkrankungen?
Zunächst einmal sind Geschlechtskrankheiten nicht mit sexuell übertragbaren Erkrankungen (auf englisch „sexually transmitted diseases“ = STDs) gleichzusetzen. Denn Geschlechtskrankheiten werden ausschließlich durch Geschlechtsverkehr übertragen, sexuell übertragbare Erkrankungen hingegen nur hauptsächlich. Somit ist nicht jede sexuell übertragbare Erkrankung eine Geschlechtskrankheit, andersherum allerdings schon. Ziemlich verwirrend, aber wichtig zu wissen, da beispielsweise auch die Lebererkrankung Hepatitis B durch sexuellen Kontakt übertragen werden kann – obwohl die Leber gar kein Sexualorgan ist.
Im Allgemeinen können STDs durch Viren (z.B. HIV, Hepatits A, B und C, Herpes und HPV), Bakterien (Syphilis, Gonorrhoe bzw. Tripper und Chlamydien) oder auch Pilze (Candidose) verursacht werden. Impfen lassen kann man sich jedoch lediglich gegen Hepatitis A/B und HPV (humane Papillonviren), bakterielle Infektionen werden meist mit Antibiotika behandelt. STDs werden sowohl durch Schleimhautkontakt als auch durch Körperflüssigkeiten wie Sperma, Vaginalflüssigkeit, (Menstruations-)Blut und – in selteneren Fällen – Speichel übertragen. Eine Ansteckung ist also auch auf nichtsexuellem Weg möglich, zum Beispiel beim intravenösen Drogenkonsum oder aber im Zuge einer Schwangerschaft bzw. Geburt. Vom Küssen geht in aller Regel jedoch keine Gefahr aus, da oft nur geringe Mengen der Erreger im Speichel enthalten sind und unsere Mundschleimhaut zusätzlich extrem robust ist. Bei HI-Viren ist eine Ansteckung auf diesem Weg sogar komplett ausgeschlossen. Dennoch ist Küssen noch immer Teil des Stigmas HIV-Infizierter, da viele denken, dass der bloße Haut- bzw. Lippenkontakt bereits ausreicht, um sich anzustecken.
Für die gesellschaftliche und auch ärztliche Aufklärungsarbeit kommt erschwerend hinzu, dass STDs sehr unterschiedliche – und manchmal auch so gut wie gar keine – Symptome hervorrufen, die je nach Geschlecht variieren können. Und auch Schamgefühle sind für die Diagnostik nach wie vor ein großes Hindernis. Das mag jetzt alles ziemlich kompliziert und unübersichtlich klingen. Doch jede*r von uns sollte sich klar machen, dass eine gewisse Grundaufklärung immer noch besser ist als Verdrängung, vor allem bei einem so wichtigen Thema. Denn leider erleben die „klassischen Geschlechtskrankheiten“ seit einigen Jahren eine Renaissance, wie das Robert-Koch-Institut in einem 2017 veröffentlichten Bericht zur aktuellen epidemiologischen Lage von STDs bestätigte. So hat sich die Zahl der Syphilis-Infektionen zwischen 2009 und 2015 mehr als verdoppelt. Und: Die Resistenzraten vieler Antibiotika, die beispielsweise auch zur Behandlung von Tripper, Chlamydien oder Syphilis eingesetzt werden, steigen. Also: Wie könnt ihr euch schützen?
„Safer Sex“ ist mehr als ein Kondom
Bei „Safer Sex“ geht es im Prinzip darum, die oben genannten Übertragungswege so gut es eben geht zu unterbinden. Es heißt schließlich nicht „Safe Sex“, denn ein gewisses Risiko ist immer vorhanden. Die wichtigste und sicherste Vorsichtsmaßnahme ist hierbei in der Tat die Verwendung eines Kondoms bzw. Femidoms, um Schleimhautkontakt zu vermeiden. Ja, richtig gehört: Femidome sind im Grunde Kondome, nur dass sie nicht über den Penis abgerollt, sondern in den Vaginalkanal eingeführt werden. Vorteil: Sie bieten Frauen* die Möglichkeit, sich selbstbestimmt vor STDs und einer ungewollten Schwangerschaft zu schützen und können auch schon ein paar Stunden vor dem Geschlechtsverkehr eingeführt werden. Außerdem sind Femidome im Gegensatz zu Kondomen meistens latexfrei und die Wahl des Gleitmittels somit nicht einschränkt. Nachteil: Sie zu benutzen, erfordert viel Übung – zumindest mehr als bei einem Kondom.
Doch „Safer Sex“ beinhaltet noch mehr als die Wahl eines (passenden) Kondoms bzw. Femidoms, denn: STDs können auch indirekt, d.h. über Schmierinfektionen (zum Beispiel beim Petting) übertragen werden. Hierbei sind also ebenfalls ein paar Dinge zu beachten. So sollte man Kontakt mit sichtbar veränderten und somit potentiell infektiösen Hautstellen vermeiden und sich zuvor auf (kleine) Wunden, insbesondere natürlich im Intimbereich bzw. in den erogenen Zonen, untersuchen. Ein Vorspiel vor dem Vorspiel, sozusagen. Außerdem ist es ratsam, für die Eigen- und Fremdstimulation jeweils eine andere Hand zu verwenden und beim Oralsex Lecktücher bzw. Kondome zu benutzen – das gilt auch für Paare, die Sextoys wie beispielsweise Dildos miteinander teilen. Und klar: Intimhygiene sollte euch kein Fremdwort sein.
Wie ihr vielleicht gemerkt habt, gibt es für „Safer Sex“ zwar kein Geheimrezept, dafür aber klare Empfehlungen. Es liegt letztlich in eurer Verantwortung und hängt von eurer persönlichen Risikobereitschaft ab, wie viel „safer“ ihr unterwegs seid. Dazu gehört auch , sich regelmäßig untersuchen oder testen zu lassen: Neben spezialisierten Ärzt*innen gibt es hier viele anonyme Anlaufstellen wie Aidshilfen, Gesundheitsämter oder (schwule) Projekte, an die ihr euch wenden könnt – selbst wenn ihr nur Fragen habt. Auf deren Internetseiten gibt es oft auch die Möglichkeit, über eure Postleitzahl Teststellen in eurer Nähe zu ermitteln – oder ihr macht zunächst einen Safer-Sex-Check, um euer persönliches Risiko einzuschätzen. Denn sicher: Sex sollte Spaß machen, aber er sollte eben auch so wenig negative Konsequenzen wie möglich mit sich bringen. Oder um es auf eine einfache Formel zu bringen: „Less risk, more fun“ – zumindest auf lange Sicht.
Ein Artikel von Lena Toschke
Illustration von Pia Chwalczyk
Zurzeit studiert Lena Medizin in Münster, ihre Leidenschaft gilt jedoch vor allem dem Schreiben. Sie liebt Poetry Slams und beschäftigt sich viel mit Philosophie und feministischer Literatur.