Es ist Sommer und es ist heiß. Seit ich denken kann, trage ich gerne kurze Hosen. Doch es hat sich in den letzten Jahren etwas bei mir verändert: Ich habe unrasierte Beine und fühle mich mit ihnen wohl, sogar schön. Das war nicht immer so. Lange Zeit habe ich einen Kampf gegen meine Körperbehaarung geführt, doch jetzt haben wir endlich Frieden miteinander geschlossen, sind sogar Freund*innen geworden.
Ich erinnere mich nicht mehr genau daran wie alt ich war. Einige Mädchen aus meiner Klasse rasierten sich schon die Beine. Das wollte ich auch gerne machen. Ich habe mich jedoch nicht getraut mir einen Rasierer zu kaufen, weil es mir sehr peinlich war, dann vielleicht mit meiner Mutter drüber reden zu müssen. Stattdessen habe ich so getan, als fände ich es sehr übertrieben, sich so früh schon die Beinhaare zu rasieren.
Ich bin weiterhin mit kurzer Hose rumgelaufen, aber oft mit einer großen Scham. Ich wollte nicht, dass jemand sieht, dass ich lange Haare auf den Beinen habe. Manchmal habe ich sogar eine Strumpfhose angezogen, damit man meine Haare nicht sieht. Das war allerdings viel zu warm und ich fand, dass das auch ein bisschen merkwürdig aussah.
Irgendwann habe ich mich dann doch getraut. Ich war mit meiner Mutter einkaufen und habe einen Rasierer in den Einkaufswagen gelegt. Ich habe ihn selbst bezahlt und war überrascht, wie teuer er war. Das war es mir aber wert.
Nur mein Rasierer und ich
Ich fing also an meine Beine zu rasieren. Immer bevor ich Sport hatte und natürlich auch dann, wenn ich eine kurze Hose trug.
Ich probierte die unterschiedlichsten Techniken aus. Angefangen natürlich mit Rasieren. Mit Schaum, Gel, Öl oder nur mit Wasser, manchmal auch ohne alles. Nur mein Rasierer und ich. Und ich habe Wachsstreifen ausprobiert, ein Mal sogar an meinen Armen. Und, nicht zu vergessen, das Enthaarungsspray. Das brannte jedoch auf den Beinen und danach fühlten sie sich ein bisschen taub an. Das war für mich dann doch keine Option.
Irgendwann saß ich mit einer Freundin im Zug. Sie erzählte, dass sie sich ihre Achseln rasiert, obwohl sie dort noch gar keine Haare hat. Ich fand das sehr einleuchtend und begann auch damit.
Kurze Zeit später rasierte ich das erste Mal meine Vulva. Beim Nachwachsen meiner Vulvahaare fing auf einmal alles ganz stark an zu jucken. Das war mir sehr peinlich. Ich war den ganzen Tag damit beschäftigt, mich nicht dauernd zu kratzen. In verschiedensten Zeitschriften habe ich nachgelesen, was es für Tipps dagegen gibt. Und auch, wie es zu schaffen ist, dass keine Rasierpickelchen entstehen.
Ich habe die unterschiedlichsten Dinge ausprobiert, die mehr oder weniger gut geklappt haben. Schließlich habe ich gelernt, auf meinen Körper zu hören. Dass es meiner Haut nicht guttut, sie jeden Tag zu rasieren. Egal ob an meinen Beinen, in meinen Achseln oder auf meiner Vulva.
Ich vermied fast wie automatisch die Sonne, damit niemand meine Haare im Licht glitzern sah
Erst in meinem letzten Jahr in der Schule habe ich mich wieder getraut, mit Kleid und unrasierten Beinen zur Schule zu gehen. Es war eine bewusste Entscheidung und es begleitete mich trotzdem diese Scham, die mich auch schon früher begleitet hatte. Ich vermied fast wie automatisch die Sonne, damit niemand meine Haare im Licht glitzern sah. Und das alles zu einem Zeitpunkt, wo ich eigentlich schon wusste, dass diese Scham durch das Patriarchat konstruiert wird. Dass es nicht okay ist, dass weiblich gelesene Körper dauerhaft bewertet werden und unter Beobachtung stehen. Ich wollte mich nicht dafür schämen, konnte aber nichts dagegen tun.
Ungefähr zur gleichen Zeit habe ich das erste Mal meine Achselhaare wachsen lassen. Mir war aufgefallen, dass ich sie noch nie wirklich gesehen hatte. Ich war 19 Jahre alt und hatte noch nie meine Achselhaare gesehen. Ich hörte also auf, sie zu rasieren und sie wurden immer länger. Jeden Morgen in der Dusche habe ich mich bewusst dafür entschieden, nicht nach dem Rasierer zu greifen. Ich war fasziniert von ihnen, musste mich aber auch erst daran gewöhnen, dass ich jetzt eine Person mit Achselhaaren bin.
Heute mag ich immer noch das Gefühl von frisch rasierten Beinen. Meistens habe ich jedoch keine Lust, sie zu rasieren. Und ich mag es, wenn ich beim Fahrradfahren spüre, wie der Wind durch meine Beinhaare weht.
Ich trage meine Körperbehaarung mit Stolz und ich rasiere sie mit Stolz. Ich mache es so, wie ich es gerade möchte, wie es sich für mich richtig anfühlt.
Ein Artikel von Rio Theis
Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Lina Lätitia Blatt

Das Bild ist Teil von Vulvaaart. Vulva art with an extra a.
ein kooperatives Projekt mit vielen sichtbaren und unsichtbaren Beteiligten, initiiert von Lina Lätitia Blatt, um das Verhältnis zwischen Körpern und der patriarchalen, normierenden Gesellschaft zu reflektieren und gemeinsam neue Bilder zu schaffen.
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