Der Mythos vom dummen Nazi

Nazis sind nicht „dumm“. Also manchmal schon, aber nicht immer. Und Terroristen sind nicht „verrückt“. Also manchmal eben schon, aber nicht immer. Wir können nicht einfach Leuten, die wir nicht mögen oder die böse sind, irgendwelchen Minderheiten zuordnen, als ob es für Menschen je einen speziellen Grund gebraucht hätte, moralisch verwerfliche Dinge zu tun. Was hat denn die Intelligenz mit dem Nazi sein zu tun, und warum ist es wichtig? Es ist okay, sich Nazis moralisch übergeordnet zu fühlen, aber es ist nicht okay, Leute wegen ihrer intellektuellen Leistungen abzuwerten, egal welche politische Meinung sie vertreten. Genauso können wir nicht alle Menschen, deren Taten wir nicht verstehen, einfach als „verrückt“ abstempeln. Psychisch kranke Menschen sind viel eher Opfer als Täter von Gewaltverbrechen, und trotzdem stellen wir dauernd Ferndiagnosen für gewalttätige Menschen fest. Als Mensch mit einer sehr missverstandenen psychischen Krankheit tut das weh. Zu wissen, dass viele Menschen glauben, man sei nicht zurechnungsfähig oder nicht mehr als eine potentielle Gewaltverbrecherin, ist sehr verletzend.

Ich glaube, wir machen das mit den Zuschreibungen eben nur, weil wir uns abgrenzen wollen, wobei diese Abgrenzung an sich schon fragwürdig ist. Jede*r kann potenziell psychisch erkranken, und jede*r kann einen Nazi kennenlernen, egal ob in Form eines eigenen Familienmitglieds oder der scheinbar netten Oma von nebenan. Doch niemand hält sich selbst gerne für dumm oder verrückt, deshalb schreiben wir diese Eigenschaften Leuten zu, deren Taten wir verächtlich finden. Wir nehmen dabei keine Rücksicht auf die Menschen, denen wir damit wirklich schaden. Ich wage zu behaupten, dass die meisten Menschen mit unterdurchschnittlicher Intelligenz oder mit psychischen Krankheiten weder Nazis noch Terroristen sind, sondern Opfer von vielen Vorurteilen, zu denen wir – herzlichen Glückwunsch! – noch eins mehr hinzufügen, wenn wir solche Sprüche klopfen. Ganz abgesehen davon, dass es extrem gefährlich ist, Rechtsextreme in jedweder Hinsicht zu unterschätzen, ist es auch von unserer Seite keine kognitive Glanzleistung, den Mythos des dummen Nazis weiterzuverbreiten. Es ist einfach nur faul und verletzend. Genauso wie wenn wir psychische Krankheiten als Hauptgrund für Gewaltverbrechen ansehen.

Was für eine schöne Vermeidungsstrategie, um nicht darüber sprechen zu müssen, was wahrscheinlich hinter den Angriffen lag – Frauenhass und toxische Männlichkeit zum Beispiel, denn in den allermeisten Fällen sind Täter solcher Verbrechen männlich, egal ob psychisch krank oder nicht. Genauso wie Nazi sein viel mehr mit strukturellem Rassismus und Xenophobie zu tun hat als mit dem Intelligenzquotienten. Auch der Einzeltätermythos lässt sich mit solchen oberflächlichen Erklärungen wunderbar propagieren, indem rechtsextremistisch motivierte Anschläge als Werk eines allein handelnden, psychisch kranken Täters dargestellt werden. Die dahinterstehenden rechten Netzwerke und diskriminierenden gesellschaftlichen Strukturen, welche die Tat überhaupt erst ermöglichten, werden dabei vollkommen ignoriert. Die Anschläge von Halle und Hanau haben gezeigt: Diese Verharmlosung kann und darf so nicht weitergehen.

Es ist nicht nur diskriminierend, solche Mythen weiterzuverbreiten, sondern auch überaus gefährlich, denn diese Themen betreffen uns alle und wir dürfen die Augen nicht davor verschließen. Wir müssen also die wahren Gründe hinter Hass- und Gewalttaten angehen, und nicht irgendwelche anderen vorschieben, gegen die wir sowieso nichts tun können – wie bequem!
Aber ganz ehrlich, warum suchen wir überhaupt noch nach Gründen, warum Nazis oder Gewaltverbrecher scheiße sind? Der Name ist doch schon Programm, da braucht man nichts mehr hinzuzufügen. Ein Nazi kann von mir aus sehr dumm oder sehr schlau oder sehr hässlich oder über die Maßen hübsch sein – das ändert nichts daran, dass ich ihn verabscheue. Und das liegt einzig und allein an seiner politischen Einstellung und an keinem der anderen Faktoren. Darauf sollten wir uns konzentrieren, und dagegen sollten wir vorgehen. Alles andere ist Zeit- und Energieverschwendung.

Es sollte außerdem allen von uns klar sein, dass die Erfassung von Intelligenz oft von klassistischen Vorurteilen gefärbt ist und das psychisch Kranke sowieso schon genug diskriminiert und gehetzt werden. Da braucht es nicht noch Leute, die versuchen, sich moralisch über andere zu erheben und dabei Argumente aus genau deren Milieu aufgreifen. In diesem Sinne können wir uns hoffentlich darauf einigen, dass wir gegen alle Nazis sind, dumme wie schlaue, und gegen alle Gewaltverbrecher, die psychisch Kranken sowie die Gesunden. Und dass wir aufhören werden, Leute zu diskriminieren aufgrund der Sachen, die ihr Gehirn macht oder nicht macht, für die sie aber nichts können.

Ein Text von Lily Sabath
Titelbild von Sergio Rodriguez – Portugues del Olmo bei Unsplash

Lily Sabath schreibt gesellschaftskritische Kommentare und Poetry Slams. Ihre Texte beschäftigen sich vor allem mit Themen aus den Bereichen Queerfeminismus und psychischer Gesundheit.

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