Patriarchale Machtverhältnisse am Theater – Ein Interview mit dem aktivistisch-feministischem Theaterkollektiv FAUL&HÄSSLICH.

FAUL&HÄSSLICH. ist ein aktivistisch-feministisches Theaterkollektiv und wurde 2019 von der Schauspielerin Maren Kraus (28) und der Ausstattungsassistentin und Inspizientin Ines Bartl (26) gegründet. Der Impuls zur Gründung entstand aus der Frustration über das stark hierarchisch geprägte Theatersystem, die patriarchalen Machtverhältnisse in demselben und die Tatsache, dass Frauen dort nach wie vor Rollen spielen sollen, die immer dem gleichen Schema entsprechen: Unterstützende, Liebende, Sterbende etc.
Mittlerweile sind noch die Schauspielerin Laura Götz (28) und die Theaterpädagogin und Dramaturgin Clara Kaltenbacher (26) dem Kollektiv beigetreten. Kennengelernt haben sich die drei an der Burghofbühne Dinslaken. Und obwohl sie alle einen Vollzeitjob am Theater hatten, haben sie sich über mehrere Monate hinweg in ihrer freien Zeit getroffen und gemeinsam das feministische und kapitalismuskritische Theaterstück „SCHICHTARBEIT- Herstory repeats itself.“ geschrieben, inszeniert und aufgeführt. Das Stück hatte am 12. September 2020 in der Zechenwerkstatt Lohberg in Dinslaken Premiere gefeiert. 2021 ist FAUL&HÄSSLICH. Teil des feministischen Minifestivals am Theater Oberhausen, in dessen Rahmen sie voraussichtlich am 10. April eine Installation und die digitale Besetzung der patriarchalen Theaterhallen planen. Theo aus der .divers Redaktion hat die drei feministischen Theaterschaffenden interviewt und spricht mit ihnen über ihr Theaterstück, Feminismus und kollektiver Arbeit.

Theo: Laut eurer Website beschäftigt sich „SCHICHTARBEIT“ mit der Verdinglichung des weiblichen Körpers im Kapitalismus und gibt Frauen aus Vergangenheit und Gegenwart eine Stimme, um die Zukunft zu verändern. Wie seid ihr dazu gekommen euch mit diesem Themenkomplex auseinanderzusetzen? Und wie habt ihr das umgesetzt?

Maren: Die Fassung, die wir geschrieben haben, basiert auf dem Buch „Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus“ von Laurie Penny. Schon bevor ich nach Dinslaken kam, wollte ich eine szenische Lesung daraus machen. Als ich dann das Zechengelände in Dinslaken, Lohberg zum ersten Mal sah, wusste ich, dass ich den Inhalt des Buches gerne an diesem Ort stattfinden lassen möchte. Das war dann auch der Auslöser dafür, mich noch intensiver mit der industriellen Revolution und der Entstehung des Kapitalismus zu beschäftigen und mich zu fragen, inwiefern sich unser heutiges Verständnis von weiblich konnotierter Hausarbeit und öffentlicher Arbeit dadurch manifestiert hat. Natürlich stellten wir uns schnell die Frage, wie man diesem komplexen wissenschaftlichen Thema da am besten noch einen fiktionalen, theatralen Aspekt oder einen persönlichen roten Faden hinzufügen könnte. Also haben wir beschlossen, den Text von Laurie Penny durch fünf verschiedene Frauenfiguren zu ergänzen. Jede Geschichte der einzelnen Frauen ist untermauert mit Fakten. Diese decken unter anderem Themen wie die Definition von Sexismus, die historische Entwicklung der Emanzipation, geschlechtsspezifische Arbeit wie z.B. Pflege- und Carearbeit und das Thema Sexarbeit ab.

Theo: Wer sind diese Frauenfiguren und warum habt ihr euch für sie entschieden?

Maren: Das sind Alma Mahler, Musikerin und Frau des berühmten Komponisten Gustav Mahler; Ruth Bader Ginsburg, die amerikanische Juristin und Richterin im Supreme Court, die erst kürzlich verstorben ist; die Figur der Mutter, die auf dem journalistischen Text „Warum ich nie Mutter werden wollte“ von Julia Friese basiert; eine Altenpflegerin und eine Sexarbeiterin, die wir beide interviewt haben.

Laura: Wir wollten Frauen sprechen lassen. Frauen, die für viele von uns stehen könnten. Außerdem war es uns wichtig, dass die Figuren aus unterschiedlichen sozialen Klassen kommen.

Clara: Auch wenn diese Frauenfiguren auf echten Individuen basieren, dienen sie letztendlich auch als Beispiele für viele Frauen: Alma, die Muse, die aber nicht selbstschaffend sein darf; Ruth, die Akademikerin und Karrierefrau, die für ihre Stellung und ihre Rechte viel mehr kämpfen muss als ihr Mann; die Mutter als das Idealbild der Frau, dem aber niemand wirklich gerecht werden kann; die Pflegearbeiterin als Vertreterin der Arbeiter*innenklasse und die Sexarbeiterin als verdinglichtste Form weiblicher Sexualität und geschlechterspezifischer Arbeit.

Der offizielle Teaser zum Theaterstück "SCHICHTARBEIT - Herstory repeats itself."

Theo: Was hat euch dazu motiviert dieses Theaterstück zu inszenieren? Warum war es euch so wichtig das durchzuziehen, obwohl es ein großer Aufwand für euch war?

Maren: Ich hatte und habe eine wahnsinnige Wut auf die herrschenden Strukturen am Theater. Ich bin enttäuscht, dass sich meine Vorstellung des Theaters als utopische Welt, in der man gemeinsam für eine fairere Gesellschaft kämpft, für mich nicht eingelöst hat und ich erkennen musste, dass das Patriarchat im Theaterbetrieb genauso am Werk ist, wie überall anders auch. Das treibt mich an. Da gibt es viel zu tun. Außerdem möchte ich nicht weiterhin eine Liebesrolle nach der andern spielen und mich dazu ständig mit dem Sexismus auseinandersetzen, der mir täglich widerfährt.

Clara: Bei mir ist es nicht ganz so viel Wut, sondern eher Frustration. Ich frage mich oft, wofür wir das hier eigentlich machen. Warum wird an deutschen Theatern ein Klassiker nach dem anderen gespielt? Und selbst wenn mal kein klassisches Stück gespielt wird, dann ist es trotzdem meistens dramatisches Theater mit den gleichen veralteten Rollenbildern. Warum kommt das Politische dabei so kurz?

Laura: Ich kann mich den beiden nur anschließen. Bei mir kam noch eine Komponente dazu: der Wille, über diese Thematik zu informieren, damit es für jede*n verständlich ist. Die Inszenierung hat durch die vielen Fakten einen wissenschaftlichen Charakter und es war mir wichtig, dass wir diese Inhalte so an Menschen vermitteln, dass sie diese auch begreifen und in Erinnerung behalten können.

Theo: Fakten sind selbstverständlich wichtig, aber ich finde es trotzdem so ermüdend und enttäuschend, dass Berichte über unsere erlebte Lebensrealität als Frauen, oft nicht ausreichen um auf diese Missstände aufmerksam zu machen, sondern wir trotzdem alles faktisch belegen müssen. Und noch ermüdender finde ich es, dass diese Art von Bildungsarbeit überhaupt noch geleistet werden muss.

Maren: Genau diesen inneren Konflikt hatten wir auch. Wir waren so oft an dem Punkt, an dem wir dachten, dass wir den Text anders formulieren müssen, weil jemand, der sich noch nicht mit der Thematik auseinandergesetzt hat, es nicht verstehen würde. Und was die Fakten angeht, die wir im Stück verarbeiten, waren wir auch ständig hin und her gerissen. Einerseits fanden wir es gut alles auch belegen zu können, andererseits sollte es nicht unsere Aufgabe sein Aufklärung zu betreiben.

Clara: Wir haben schon beim Lesen und Proben potentielle Reaktionen mitgedacht. Wir wussten ganz genau wo ein „Aber nicht alle Männer…“ oder ein „Aber was ist mit…“ kommt. Außerdem haben wir alle Fakten zig mal hinterfragt und nachrecherchiert, um wirklich sicherzugehen, dass alles stimmt. Wir wussten genau, dass es Leute geben würde, die nur danach suchen, uns vermeintliche Fehler anzukreiden.

Laura: Beim Nachgespräch der zweiten Aufführung hat ein Zuschauer gefragt, wieso wir dieses Stück nicht für Männer machen würden, denn das müssten mehr Männer sehen und gerade würden wir damit die falsche Zielgruppe erreichen. Bevor wir antworten konnten, meldete sich aber eine Zuschauerin und sagte uns: „Bitte antwortet nicht auf diese Frage!“ Sie wendete sich dem Mann zu und fragte ihn: „Männer, wo ist eure feministische Arbeit? Wo sind eure feministischen Stücke? Wo sind eure feministischen Texte?“ Das fand ich so stark. Es beschäftigt mich bis jetzt noch. Es ist nämlich nicht unsere Aufgabe, es ihnen zu erklären.

Clara Kaltenbacher, Laura Götz und Maren Kraus beim Schlussapplaus

Theo: Das würde ich so sofort unterschreiben! Zum Schluss würde ich aber gerne noch kurz auf eure Arbeitsweise zu sprechen kommen. Wie war bzw. ist es für euch als Kollektiv zu arbeiten? Musstet ihr euch erst daran gewöhnen? Und wie unterscheidet es sich von den gewohnten hierarchischen Strukturen?

Laura: Es war schon ein krasser Lernprozess. Man muss erstmal lernen Aufgaben abzugeben, zuzugeben, wenn man etwas nicht schafft und sich einzugestehen, dass das ok ist und dass es dafür ja die anderen aus dem Kollektiv gibt. Man muss einfach begreifen, dass man das gemeinsam macht und nicht alles an einem alleine hängt. Jede von uns war mit Herz und Seele dabei und hat Vollgas gegeben. Wenn also eine mal nicht konnte, dann wussten wir, dass es definitiv nicht daran liegen kann, dass sie keinen Bock mehr hat, sondern weil sie halt gerade nicht kann. Dadurch musste ich auch lernen meine Kraft selbst einzuschätzen. Das war für mich eine super positive Erfahrung, auch wenn es nicht ganz einfach war das alles zu lernen. Was ich auch sehr toll fand, war, dass man einfach gehört wurde und bei allem ein Mitspracherecht hatte. Was man im Regietheater weniger hat. Es ist natürlich schon sehr anstrengend, wenn man noch ein so kleines Kollektiv ist und noch nicht so viele Ressourcen hat. Wir mussten wirklich alles machen: von Förderanträgen schreiben, über Dixi Toiletten bestellen und Plakate austeilen bis hin zum am Ende auf der Bühne stehen. Aber es gibt auch wahnsinnig viel Kraft, das alles gemacht zu haben.

Maren: Bei uns war das schon ein ziemlich extremer Rahmen. Zu wenig Zeit und zu viele Aufgaben für zu wenig Womenpower, aber insgesamt muss ich sagen, dass es einen krassen Mehrwert hatte und eine wunderschöne Erfahrung war. Was es für einen Unterschied macht, wenn man wirklich für alles Verantwortung trägt. Ich finde es absurd, welche Entfremdung man am Theater teilweise erlebt und wie man gar keinen Bezug mehr dazu hat, was man da überhaupt macht. Beim Konzeptionsgespräch, das schon lange vor Probenbeginn stattfindet, steht schon alles fest. Das Einzige, was mir dann als Aufgabe bleibt, ist mich im festgelegten Kostüm, Bühnenbild und Inszenierungsrahmen zu fragen: „Ah, wie spiele ich denn die Julia, die sich die ganze Zeit nach Romeo sehnt?“

Clara: Ich finde, dass unsere Zusammenarbeit sehr inspirierend war. Einerseits weil wir sehr harmonisch miteinander arbeiten konnten und andererseits weil es ganz anders war, als es in den hierarchischen Strukturen an den Theatern der Fall ist. Es gab eine ständige Wertschätzung, selbst für die kleinsten Aufgaben, die man übernommen hat und viel Verständnis wenn man gerade etwas nicht leisten konnte. So funk-tioniert gegenseitiges Empowerment und ich hoffe, dass wir ein bisschen davon an unsere Zuschauer*innen weitergeben konnten.

Theo: Das hoffe ich auch. Vielen Dank für dieses spannende Gespräch! Ich wünsche euch ganz viel Erfolg und Empowerment für eure zukünftigen Produktionen!

Online findet ihr FAUL&HÄSSLICH. auf Instagram, Facebook und auf ihrer Homepage.

Interview geführt von Theodora Brad
Titelbild und Foto von Christian Seibel

Ein Kommentar zu „Patriarchale Machtverhältnisse am Theater – Ein Interview mit dem aktivistisch-feministischem Theaterkollektiv FAUL&HÄSSLICH.

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  1. Das ist sehr informativ bezüglich des aufgeführten Stücks. Jetzt hab ich im Nachhinein manches noch besser verstanden. Hoffe, dass es ein weiteres geben wird.

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