Der Muttertag – ein Tag wie jeder andere?

Viele kennen es sicher: Einmal im Jahr, am zweiten Mai-Wochenende, setzt die plötzliche Erkenntnis ein, dass der morgige Tag ein ganz besonderer ist – oder das schlechte Gewissen, wenn man ihn vergessen hat. Ich nenne es das Muttertags-Phänomen, und finde es ehrlich gesagt ziemlich merkwürdig (ganz im Gegensatz zum Muttertag selbst, den ich mir einfach nicht merken kann). Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass wir die(konsumorientierte) Wertschätzung für einen Menschen noch immer an ein Datum koppeln? Bringt das überhaupt etwas? Ich denke nicht, und möchte in diesem Artikel deshalb zu einem anderen Umgang mit dem Muttertag anregen. Vorweg sollte jedoch noch gesagt werden, dass das Konzept „Mutter“ historisch und kulturell gewachsen ist und mit gewissen Normvorstellungen einhergeht, die auch in jedem Fall kritisiert und problematisiert werden sollten, in diesem Text allerdings nur angerissen werden. Außerdem möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass sich mit dem Begriff „Mutter“ unterschiedliche Geschlechtsidentitäten identifizieren können – was das Ganze umso vielschichtiger und problematischer macht. Doch zunächst ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit.

Die Mutter des Muttertags

Der Muttertag hat eine lange Historie: Seine Ursprünge liegen bereits in der Antike, genauer gesagt in  der Verehrung der griechischen Göttin Rhea. In England, wo der Muttertag traditionell am vierten Mai-Wochenende gefeiert wird, führte Heinrich III. im 13. Jahrhundert (oder zumindest so um den Dreh) den sogenannten Mothering Day ein – damals noch Maria, der „Mutter der Kirche“, gewidmet. Sogar Napoleon soll 1805 die Einführung eines Muttertags vorgeschlagen haben. Die glorreiche Idee kam ihm allerdings kurz vor seiner letzten Schlacht, sodass er sie wohl nicht mehr in die Tat umsetzen konnte, bevor er ins Exil musste.

Soviel zu den „Muttertags-Vätern“ – als „Mutter des Muttertags“ gilt jedoch unbestritten die amerikanische Methodistin Anna Marie Jarvis. Ihre Forderung: „Schafft den Ehrentag der Mutter – setzt diesen Frauen ein unvergängliches Denkmal.“ Deshalb ließ sie 1908 erstmals einen Festtag (Memorial Mothers Day Meeting) zu Ehren aller Mütter ausrichten, der gleichzeitig ein Gedenkgottesdienst ihrer drei Jahre zuvor verstorbenen Mutter war. Die gründete bereits 1858 sogenannte Mothers Work Day Clubs und rief während des amerikanischen Bürgerkriegs Motherˋs Friendship Days ins Leben, um Wohltätigkeitsaktionen zu organisieren.

Eine weitere Vorreiterin des Muttertags – in ihrer Rolle noch unbekannter als Anna Marie Jarvis – war die amerikanische Schriftstellerin und Abolitionistin Julia Ward Howe. Sie veröffentlichte 1870 als Reaktion auf den Bürgerkrieg eine Streitschrift (später bekannt als Womanˋs Day Proclamation), in der sie zum Pazifismus aufrief und dabei vor allem Frauen adressierte, also eine Art Mütter-Friedenstag-Initiative startete.

„I wanted it to be a day of sentiment, not profit“

Es blieb jedoch nicht bei einem Gedenkgottesdienst, denn Anna Marie Jarvisˋ war wild entschlossen, Müttern, die damals in aller Regel Hausfrauen und nicht berufstätig waren, in Form eines offiziellen Muttertages mehr Anerkennung einzuräumen. Hierzu gründete sie sogar einen Verein, die Mother’s Day International Association. Ihre Bemühungen führten 1914 dazu, dass der US-Kongress unter der Präsidentschaft von Thomas Woodrow Wilson den zweiten Sonntag im Mai zum nationalen Feiertag erklärte: „[…] as a public expression of love and reverence for the mothers of our country“. Und auch international schlug die Muttertags-Kampagne große Wellen, sodass er bald darauf auch in Europa – in Deutschland erstmals 1923 – gefeiert wurde. Nicht ganz unbeteiligt war daran der „Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber“, der schon damals ein Geschäft witterte – bis heute ist der zweite Mai-Sonntag einer der umsatzstärksten Tage der Blumen-Branche.

Genau dadurch wurde der Muttertag, wie viele andere Feiertage, jedoch zunehmend kommerzialisiert. Der ursprüngliche Gedanke dahinter, so wie auch die Anekdote, dass nach dem Memorial Mothers Day Meeting 1907 rote und weiße Nelken verteilt wurden, verblasste allmählich. Dessen wurde auch Anna Marie Jarvis Zeugin, weshalb sich ihre anfängliche Entschlossenheit, den Muttertag einzuführen, schließlich ins Gegenteil umkehrte: Sie kämpfte bis zu ihrem Tod erfolglos dafür, den Tag wieder abzuschaffen.

Ganz im Gegensatz zu den Nationalsozialisten, die ihn zu Propagandazwecken missbrauchte. Das ist der schrecklichste Teil der Muttertags-Historie: Zelebriert als „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“ mit Reichsmütterdienst, Mütterweihen und dem sogenannten „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“ – „als sichtbares Zeichen des Dankes des Deutschen Volkes an kinderreiche Mütter“ – passte der Mutterkult perfekt zur Rassenideologie der Nationalsozialisten. Oder wie es Jan Feddersen in seinem Artikel Ungemütlicher Tag meiner Meinung nach ganz gut auf den Punkt brachte: „Die Nazis wollten Frauen als Kameradinnen, noch lieber aber als Gebärmaschinen. Die Mutter war eine Heilige im völkischen Wahn, geehrt zum Muttertag, dem zweiten Sonntag im Mai. Warum wird er heute noch gefeiert, allem Feminismus zum Trotz?“

Gut getarnt mit Blumen und Pralinen

Tja, warum? Damit wären wir wieder bei den Eingangsfragen angelangt, jetzt allerdings (hoffentlich) um einiges schlauer. Denn es ist schlichtweg ignorant, den Muttertag trotz seiner haarsträubenden Instrumentalisierung in der deutschen Vergangenheit weiterhin zu feiern, als ob nichts wäre. Schließlich beinhaltet Erinnerungskultur auch, den geschichtlichen Hintergrund bestimmter Ereignisse wie eben dem Muttertag kritisch zu beleuchten, was bisher längst nicht ausreichend stattgefunden hat.

Sicher kommt jetzt der berechtigte Einwand, dass es aber doch darauf ankommt, wie man den Muttertag feiert, und dass schließlich nicht jede:r seine:ihre Frau/Mutter mit kitschigen Geschenken und tonnenweise Blumen überhäuft. Das stimmt zwar, allerdings ist ja gerade das die Crux bei der ganzen Sache: Der Muttertag macht lediglich den Anschein, Wertschätzung darzustellen, kompensiert aber eigentlich eher die Tatsache, dass die mit dem Mutter-Sein verbundene (unbezahlte) Arbeit in unserer Gesellschaft noch immer nicht genug gewürdigt wird. Einmal jährlich Blumen, Pralinen oder selbstgebastelte Karten (und seien sie noch so süß) zu schenken reicht einfach nicht aus, um diesen strukturellen Mangel an Anerkennung auszugleichen. Mal ganz abgesehen davon, dass der Muttertag das Bild der immer liebevollen Mutter, die sich aufopferungsvoll hingibt, ziemlich glorifiziert. Deshalb: Brauchen wir einen Tag, an dem auf einmal alle beteuern, wie wahnsinnig lieb sie ihre Mutter oder Partnerin haben?  

Lassen wir die Frage mal unbeantwortet und halten stattdessen Folgendes fest: Was wir brauchen, sind Vielfalt und Gleichberechtigung. Kann ja sein, dass der Muttertag zum gesellschaftlichen Wohlbefinden beiträgt. Aber solange insbesondere Frauen auch weiterhin beruflich und anderweitig benachteiligt werden, ist ein „Happy-Family-Event“ wie der Muttertag dem Feminismus keine große Hilfe, sondern eher ein Klotz am Bein. Alternativvorschlag: Entweder beide Tage abschaffen oder zu einem „Elterntag“ zusammenlegen – dann wird auch gleich der Vielfalt verschiedenster Lebens- und Familienentwürfe ein Platz eingeräumt. Denn die Bezeichnung Muttertag ist zumindest historisch noch sehr stark mit einem eher traditionellen Familienbild verbunden und hält – ebenso wie der Vatertag – eine binäre Geschlechterordnung sowie gewisse Rollenbilder (s. oben) aufrecht.

Das heißt natürlich nicht, dass der Muttertag nicht auch auf eine schöne Art und Weise gefeiert werden kann. Aber wäre es nicht trotzdem besser, sich das Pralinengeld einfach zu sparen und stattdessen auf die Straße zu gehen, um beispielsweise für eine gerechtere Verteilung der Care-Arbeit einzustehen? Einen „Welttag der Frauen“ gibt es zwar schon, aber was sollˋs? Wir wollen schließlich nicht ewig darauf warten, respektiert zu werden – und das nicht in erster Linie als Frau oder Mutter, sondern als Mensch.

Ein Artikel von Lena Toschke

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Priscilla Du Preez

Über die Autorin: Zurzeit studiert Lena Medizin in Münster, ihre Leidenschaft gilt jedoch vor allem dem Schreiben. Sie liebt Poetry Slams und beschäftigt sich viel mit Philosophie und feministischer Literatur.

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