Sprache und Diversität: Wie Worte unsere Realität formen

Empfohlen

redaktion
redaktionhttps://diversmagazin.de
Menschen, Geschichten, Ideen

Sprache ist weit mehr als ein bloßes Kommunikationsmittel – sie prägt unser Denken, unsere Wahrnehmung und unser Miteinander. Sie reflektiert kulturelle Werte, verstärkt oder bricht Stereotype und beeinflusst, wie wir uns selbst und andere sehen. Gerade in einer zunehmend globalisierten und diversen Gesellschaft ist es wichtig, sich bewusst zu machen, wie Worte Realität formen und wie inklusivere Sprache zu mehr Gleichberechtigung beitragen kann.

Sprache als Spiegel der Gesellschaft

Jede Sprache ist ein Spiegel der Kultur, aus der sie stammt. Die Art, wie wir Dinge benennen, gibt Hinweise auf unsere Werte und Prioritäten. So haben einige indigene Sprachen Dutzende Begriffe für Naturphänomene, während andere Sprachen fein abgestufte Höflichkeitsformen enthalten, die soziale Hierarchien verdeutlichen. In westlichen Kulturen, in denen Individualismus stärker betont wird, existieren zahlreiche Begriffe für persönliche Entfaltung und Selbstverwirklichung.

Gleichzeitig ist Sprache aber nicht statisch – sie verändert sich mit der Gesellschaft. Begriffe, die früher selbstverständlich waren, gelten heute oft als überholt oder diskriminierend. Ein bekanntes Beispiel ist der Wandel in der Bezeichnung von Berufen: Während früher „Arzt“ oder „Lehrer“ als geschlechtsneutral angesehen wurden, setzt sich heute immer mehr eine inklusive Form durch, um auch Frauen und nicht-binäre Personen sichtbar zu machen.

Sprache beeinflusst unser Denken

Dass Sprache unsere Wahrnehmung der Welt beeinflusst, ist keine bloße Theorie, sondern durch zahlreiche Studien belegt. Ein Beispiel dafür ist das Konzept der „linguistischen Relativität“, das besagt, dass unsere Muttersprache bestimmt, wie wir die Welt strukturieren und welche Aspekte unserer Umgebung uns besonders auffallen.

Ein klassisches Experiment dazu untersuchte Farbbezeichnungen in verschiedenen Sprachen. Einige indigene Sprachen unterscheiden nicht zwischen Blau und Grün – und tatsächlich fiel es Sprechern dieser Sprachen schwerer, zwischen diesen Farben zu differenzieren als Menschen, deren Sprache diese Unterscheidung macht.

Auch in gesellschaftlichen Fragen spielt dies eine Rolle: Wird in einer Sprache etwa das generische Maskulinum verwendet, neigen Menschen dazu, sich automatisch Männer vorzustellen, selbst wenn Frauen oder nicht-binäre Personen mitgemeint sind. Sprache lenkt also unsere Aufmerksamkeit und kann Stereotype unbewusst verstärken.

Inklusive Sprache als Schlüssel zu mehr Gleichberechtigung

Die bewusste Wahl von Worten kann helfen, Vielfalt sichtbar zu machen und Diskriminierung abzubauen. In vielen Ländern setzen sich deshalb geschlechtergerechte oder inklusive Sprachformen durch. Im Deutschen gibt es beispielsweise den Genderstern („Mitarbeiter*innen“), den Doppelpunkt („Mitarbeiter:innen“) oder neutrale Begriffe wie „Lehrkräfte“ statt „Lehrer und Lehrerinnen“.

Kritiker argumentieren oft, dass solche sprachlichen Anpassungen umständlich oder unnötig seien. Doch Untersuchungen zeigen, dass inklusive Sprache einen direkten Einfluss auf unser Denken hat: Wenn in einem Text geschlechtsneutrale Begriffe verwendet werden, denken Leserinnen und Leser automatisch an eine größere Bandbreite von Personen. Dadurch werden nicht nur Frauen sichtbarer, sondern auch nicht-binäre Menschen oder Personen, die sich außerhalb traditioneller Geschlechterrollen bewegen.

Ähnlich verhält es sich mit Begriffen für ethnische Gruppen oder Menschen mit Behinderungen. Während früher Begriffe wie „Indianer“ oder „Zigeuner“ verwendet wurden, setzt sich heute zunehmend die Selbstbezeichnung der betroffenen Gruppen durch, etwa „Indigene“ oder „Sinti und Roma“. Auch die Bezeichnung „behindert“ wird vielerorts durch „Mensch mit Behinderung“ ersetzt, um die Person statt der Einschränkung in den Mittelpunkt zu stellen.

Macht und Ausgrenzung durch Sprache

Sprache kann jedoch nicht nur verbinden, sondern auch ausgrenzen. Das zeigt sich besonders in politischen oder medialen Diskursen, wo gezielt Begriffe gewählt werden, um bestimmte Gruppen abzuwerten oder Ängste zu schüren.

Ein Beispiel ist die Art und Weise, wie über Migration gesprochen wird. Begriffe wie „Flüchtlingswelle“ oder „Asylflut“ suggerieren Bedrohung und Überforderung, während „Geflüchtete“ oder „Schutzsuchende“ den Fokus auf die Menschen und ihre individuellen Schicksale legen. Ähnliche Mechanismen lassen sich in anderen Bereichen beobachten, etwa wenn über „Karrierefrauen“ (und nicht einfach über „Karrieremänner“) gesprochen wird oder wenn queere Identitäten als „Trend“ bezeichnet werden, was ihre Legitimität infrage stellt.

Auch Dialekte und Soziolekte können zur Abgrenzung führen. Während Hochdeutsch in vielen Kontexten als „richtige“ Sprache gilt, werden Dialekte oft als weniger gebildet oder provinziell wahrgenommen. Ähnlich geht es Menschen, die Jugendsprache oder migrantische Varietäten wie das sogenannte „Kiezdeutsch“ sprechen. Doch Sprache ist lebendig und entwickelt sich weiter – was heute als umgangssprachlich gilt, kann morgen schon in den Duden aufgenommen werden.

Mehrsprachigkeit als Chance

Eine diverse Gesellschaft bedeutet auch sprachliche Vielfalt. In vielen Ländern wachsen Kinder mehrsprachig auf, doch während Englisch oder Französisch oft als prestigeträchtig gelten, werden andere Sprachen – etwa Türkisch, Arabisch oder Romanes – als weniger wertgeschätzt angesehen.

Dabei bietet Mehrsprachigkeit enorme Vorteile: Sie fördert kognitive Flexibilität, erleichtert das Lernen weiterer Sprachen und ermöglicht tiefere kulturelle Verständigung. Schulen und Institutionen stehen daher vor der Herausforderung, Sprachen nicht nur als praktisches Kommunikationsmittel, sondern auch als kulturellen Reichtum anzuerkennen und zu fördern.

Fazit: Sprache bewusst gestalten

Sprache ist ein mächtiges Werkzeug, das unsere Wahrnehmung formt und gesellschaftliche Strukturen beeinflusst. Sie kann uns helfen, Diversität sichtbar zu machen, Barrieren abzubauen und ein inklusiveres Miteinander zu schaffen. Gleichzeitig bleibt sie dynamisch und verändert sich mit den Menschen, die sie sprechen.

Ein bewusster Umgang mit Sprache bedeutet nicht, sich von alten Begriffen zu verabschieden, sondern neue Möglichkeiten zu schaffen, um alle Menschen anzusprechen und zu respektieren. In einer Welt, die immer vielfältiger wird, ist es an uns, mit Sprache Brücken zu bauen – und nicht Mauern.

label

Weiterlesen

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Aktuelles